Wie Logistik Leben rettet
Im Katastrophenmanagement dagegen steckt die Anwendung logistischen Know-hows noch in den Kinderschuhen. Prof. Dr. Dorit Bölsche, Logistikexpertin und Professorin am Fachbereich Wirtschaft in der Hochschule Fulda, hat untersucht, welchen Beitrag Logistik zu leisten vermag, um im Katastrophenfall Menschenleben zu retten und Gesundheit zu erhalten.
„Noch allzu oft basieren Entscheidungen in der Katastrophenvorsorge und -bewältigung auf dem Erfahrungswissen langjähriger Mitarbeiter“, sagt Prof. Dr. Dorit Bölsche, Professorin für Logistik an der Hochschule Fulda. Doch dass Erfahrung als Planungs- und Entscheidungsgrundlage nicht ausreicht, führten die logistischen Schwachstellen bei der Bewältigung der großen Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren nur allzu deutlich vor Augen: So erhielten beispielsweise dreiviertel der vom Hurrikan Katrina betroffenen Menschen innerhalb der ersten 30 Tage keine Kleidung. Gravierende Lücken in der Versorgung mit Hilfsgütern zeigten sich auch nach dem schweren Erdbeben in Pakistan im Jahr 2005. Noch zehn Monate danach kam es hier zu gravierenden Versorgungsengpässen. Und nach dem Tsunami in Sri Lanka, Indien und Indonesien wurde vor allem eines schnell klar: die Lager- und Transportkapazitäten reichten für die Massen an Hilfslieferungen nicht aus.
Mit logistischen Methoden lassen sich die Logistikprozesse im Katastrophenmanagement systematisch verbessern und im Katastrophenfall mehr Menschen in kürzerer Zeit erreichen, lautet die These der Logistikexpertin. Wie das genau funktionieren kann, zeigt sie in ihrem jüngst erschienenen Buch „Internationales Katastrophenmanagement. Logistik und Supply Chain Management“. Dazu überträgt sie die in der Privatwirtschaft angewandten Methoden der Logistik auf das internationale Katastrophenmanagement. Ganz anwendungsnah, auf Basis realistischer und realitätsnaher Daten zeigt sie, wie sich Tourenplanung, Standortplanung und Netzplantechnik im Katastrophenmanagement einsetzen lassen. Methoden, die vor allem auch ohne leistungsfähige Rechner und Softwareprogramme in kurzer Zeit vor Ort umzusetzen sind.
Wie schnell gelingt es, geeignete Standorte in einem Krisengebiet zu finden? Wie viele Standorte sind überhaupt sinnvoll? Wie lässt sich der Einsatz von Fahrzeugen optimal planen? Und wie lassen sich Touren so verkürzen, dass die betroffenen Menschen schneller versorgt werden? Am Beispiel der Unruhen in Kenia nach den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 weist Prof. Bölsche nach, wie die Hilfsgüter die Menschen in Not schneller und zuverlässiger erreicht hätten. 296 Camps richteten die Hilfsorganisationen im Januar und Februar 2008 ein, nahezu 4.000 Tonnen Nahrungsmittel wurden an über 370.000 Menschen verteilt. Wäre hier ein Algorithmus der Tourenplanung zum Einsatz gekommen, hätte sich die zu fahrende Gesamtstrecke deutlich verkürzen lassen. Ein Berechnungsbeispiel für die Region Eldoret in Kenia zeigt zudem, wie sich die Gesamtentfernung von anfänglichen Pendeltouren zur Lösung des Tourenplans schrittweise bis auf die Hälfte hätte verkürzen lassen. „Kürzere Entfernungen bedeuten: die hilfebedürftige Bevölkerung im Katastrophengebiet kann schneller erreicht und mit Nahrungsmitteln, Medizin und weiteren Hilfsgütern versorgt werden“, betont Prof. Bölsche und fügt hinzu: „Kürzere Wege senken aber auch die Kosten für den Transport, so dass mehr Spendengelder und Zuwendungen für den Kauf weiterer Hilfsgüter bereitstehen.“
Und weil internationales Katastrophenmanagement unternehmensübergreifenden Charakter hat, lotet die Autorin auch die Möglichkeiten des Supply Chain Managements aus. Sie richtet damit den Blick auf die Koordinierung und Zusammenarbeit der beteiligten Partner, auch auf die Kooperation zwischen Akteuren des UN-Systems und Logistikdienstleistern der Privatwirtschaft wie sie etwa im vergangenen Jahr nach dem Zyklon Nargis in Myanmar und dem Erdbeben in China zustande kam.
Doch nicht alle Ansätze, die sich in der Privatwirtschaft bewährt haben, lassen sich auf das Katastrophenmanagement übertragen. Grenzen gesetzt sind vor allem bei den Kommunikations- und Informationssystemen. Sie werden dem internationalen Katastrophenmanagement nur teilweise gerecht, da sich die Rahmenbedingungen für den Einsatz der Technologien deutlich von denen in der Privatwirtschaft unterscheiden. Schon allein deshalb, weil in Katastrophengebieten häufig der Zugang zu einer leistungsfähigen Hard- und Software fehlt. Netzwerke stehen daher nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung und müssen häufig ad-hoc aufgebaut werden. Technologische Standards und Systeme im Katastrophenmanagement müssen sich aus diesem Grund schnell einrichten und vernetzen lassen und darüber hinaus einfach zu bedienen und mobil einsetzbar sein. Deshalb wird zurzeit ein System entwickelt, das den speziellen Anforderungen gerecht werden soll. Die methodische Unterstützung der Katastrophenmanager bei der Planung logistischer Prozesse berücksichtigt es allerdings noch nicht. „Einfache Planungsmethoden sollten in ein solches System eingebunden werden“, fordert Prof. Bölsche daher. Für die Auswahl geeigneter Methoden kann ihr Buch „Internationales Katastrophenmanagement“ eine geeignete Grundlage darstellen.
Bölsche, Dorit, Internationales Katastrophenmanagement. Logistik und Supply Chain Management, Baden-Baden 2009
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