Institut Arbeit und Technik startet Forschungsprojekt zum Personalmanagement im Call Center
Moderne Sklavenarbeit oder innovative Dienstleistungsorganisation?
Telefondienst im Call Center – tatsächlich ein Zukunftsjob mit modernster Technik und hoher Serviceorientierung, innovativ und modern – oder eher eine "moderne Variante von Sklavenarbeit"? Viele Call Center-Agents erledigen monotone Tätigkeiten mit immer gleichen Telefonauskünften, Bestellannahmen oder Ticketreservierungen. Bei Gesprächsdauern von durchschnittlich nicht mehr als zwei Minuten kommen viele Agents auf ein Arbeitspensum von mehreren hundert Telefonaten am Tag. Zudem werden hohe Ansprüche an die zeitliche Flexibilität der Beschäftigten gestellt.
Wie die Arbeit in Call Centern besser organisiert und für die Beschäftigten interessanter gestaltet werden kann, ist Gegenstand eines zweijährigen vom Bundesbildungsministerium (BMBF) geförderten Forschungsprojektes, das vom Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) gemeinsam mit der Unternehmensberatung B+S (Bonn) durchgeführt wird. Beteiligt sind 20 Call Center sowie fünf Einzelhandelsunternehmen. Zum Projektstart trafen sich die Kooperationsunternehmen am Mittwoch (28. Juni) im Institut Arbeit und Technik, wo die geplante Vorgehensweise des Projektes vorgestellt und diskutiert wurde.
Wie eine vom IAT durchgeführte Literaturanalyse zeigt, existieren Schätzungen zufolge in Deutschland zur Zeit 2000 bis 2500 Call Center mit 240 000 bis 360 000 Beschäftigten. Je nach Arbeitsbereich arbeitet knapp die Hälfte der Beschäftigten Teilzeit (inklusive Aushilfen). Etwa zwei Drittel der Beschäftigten sind unter 35 Jahre alt – erklärlich durch die relativ große Zahl von Studierenden, die in Call Centern arbeiten. Nur ein Teil der Unternehmen bietet einen echten "rund-um-die-Uhr-Service" an, die meisten dehnen aber die Betriebszeiten in die Abendstunden und in das Wochenende hinein aus, was häufig mit Kundenwünschen begründet wird.
Die in Call Centern erbrachten Tätigkeiten sind vielfältig – sie reichen von einfachen Bestellannahmen bis hin zu hochqualifizierter Hilfe bei Problemen mit Computern oder technischen Anlagen. Der Arbeit am Telefon werden starke physische und psychische Belastungen zugeschrieben – z.B. durch die hohen Anforderungen an Flexibilität, Einfühlungsvermögen sowie Frustrationstoleranz, den ständigen Lärm in Großraumbüros, die ausgeprägte Leistungs- und Verhaltenskontrolle und die dauerhafte Arbeit am Bildschirm. Dies dürfte nicht zuletzt ein Grund für den offenbar recht hohen Krankenstand und die große Fluktuation unter den Agents sein, die für manche Unternehmen mit über 50 Prozent im Jahr angegeben wird.
Einseitige Belastungen, die etwa durch Bildschirmarbeit entstehen, können durch die Einrichtung von "Mischarbeitsplätzen" reduziert werden. Schon heute gibt es einige Call Center, die für die auftraggebenden Unternehmen nicht nur die Bearbeitung der Telefonkontakte übernehmen, sondern sich zu Kundenservice-Centern wandeln, die in größerem Umfang auch schriftliche Anfragen per Post, Fax und E-Mail bearbeiten. Zumindest theoretisch böte sich hier die Möglichkeit, die Arbeitsaufgaben abwechslungsreicher zu gestalten und mehr Gestaltungsspielräume bei den Arbeitsabläufen zu eröffnen, wenn das Telefonieren mit anderen Arbeiten zu "Mischarbeitsplätzen" angereichert wird, schlagen die WissenschaftlerInnen des IAT vor, die das Projekt begleiten.
Konzepte zur Gruppen- und Teamarbeit, wie sie in der Industrie schon seit langem praktiziert werden, könnten auch im Call Center zu mehr Kooperation, Koordination und Eigenverantwortung der Beschäftigten am Arbeitsplatz führen. Der richtige Einsatz beteiligungsorientierter Arbeitsformen steigert Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft. Die bessere Identifikation der Beschäftigten mit ihrem Call Center führt i.d.R. zu einer geringeren Fluktuation, wobei erhebliche Anlern- und Einarbeitungskosten eingespart werden können, außerdem sinkt der Krankenstand. Letztlich dürften zufriedene und motivierte Call Center-Agents auch zu einer Verbesserung der Servicequalität und Kundenorientierung führen.
Erste Erkenntnisse mit dieser Form der Arbeitsorganisation sind vielversprechend. So belegen etwa Pilotversuche bei der Postbank eine höhere Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten und niedrigere Krankheitsquoten.
Susanne Bittner/ Marc Schietinger/ Jochen Schroth/ Claudia Weinkopf: Call Center – Entwicklungsstand und Perspektiven – Eine Literaturanalyse
Der Projektbericht kann über das IAT, Abteilung Veröffentlichungen, bezogen werden und ist im Internet http://iat-info.iatge.de als PDF-Datei verfügbar.
Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:
Susanne Bittner
Tel.: 0209/1707-255
Dr. Claudia Weinkopf
Tel.: 0209/1707-142
Claudia Braczko
Tel.: 0209/1707-176
Weitere Informationen finden Sie im WWW:
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