Auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft
Hinkt Deutschland hinterher oder leben wir von der "inneren Tertiarisierung"? – Institut Arbeit und Technik untersuchte Entwicklungen der Beschäftigungsstruktur
Mit einer Zunahme der Beschäftigung im Dienstleistungssektor um 4,2 Millionen in den letzten 15 Jahren, während die Industrie gleichzeitig deutlich ( – 1,1 Millionen Beschäftigte in Westdeutschland) verlor, hat sich Deutschland längst auf den Weg in die Dienstleistungsgesellschaft gemacht. Allerdings liegt der Anteil der Dienstleistungsbeschäftigten trotz einer Steigerung um fast 10 Prozent mit 63,2 Prozent weiterhin unter dem Durchschnitt der Europäischen Union und der USA.
Die Dienstleistungen in Deutschland sind enger als in anderen Ländern mit der Industrie verbunden. "Typisch für Deutschland ist die innere Tertiarisierung der Industrie, die bereits stark fortgeschritten ist", stellen die Gelsenkirchener Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Gerhard Bosch und Dr. Alexandra Wagner in einer Untersuchung über die Entwicklung der Branchenstruktur von 1985 bis 1998 fest. 1997 entfielen 48 Prozent aller Tätigkeiten im verarbeitenden Gewerbe auf Dienstleistungen. In den USA waren es nur 37 Prozent.
Einen Grund für die hohe innere Tertiarisierung sehen die Wissenschaftler in der Spezialisierung der deutschen Industrie auf Qualitätsproduktion. Qualitätsprodukte erfordern mehr vor- und nachgelagerte Dienstleistungen – Forschung und Entwicklung, Beratung, Service usw.. Da viele Dienstleistungen eng mit der Industrieproduktion verknüpft sind und zum Kerngeschäft gehören, stößt die Auslagerung an Betriebe des tertiären Sektors hier anscheinend an Grenzen. Die deutsche Industrie hat aber auch später als die anderer Länder mit dem Outsourcing begonnen. Im Zuge der weiteren Spezialisierung werden Dienstleistungen künftig stärker ausgelagert werden.
Der Anteil der Arbeiter in Westdeutschland ist seit 1985 von 36,6 Prozent auf 31,3 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum wuchs der Anteil der Angestellten von 36,8 auf 45,7 Prozent. Deutlich abgenommen hat der Anteil der Beamten (von 8,4 auf 7 Prozent) und der Auszubildenden (von 5,8 auf 3,7 Prozent), der Anteil der Selbstständigen ist annähernd konstant geblieben.
In der ostdeutschen Industrie ist die innere Tertiarisierung weniger fortgeschritten als in Westdeutschland. Darin zeigt sich, dass die ostdeutschen Betriebe vor allem Produktionsstätten sind, während vorgelagerte Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Projektierung usw. in den westdeutschen Konzernzentralen angesiedelt sind. Der Anteil der Geringqualifizierten ist in Ostdeutschland mit 10,9 Prozent nur reichlich halb so groß wie in Westdeutschland (19,5 Prozent).
Die Entstehung der Dienstleistungsgesellschaft hat Auswirkungen auch auf die Industriegewerkschaften. Sie haben zwar ihre Organisationsbasis weiterhin in den produktionsorientierten Tätigkeiten, sind aber durch die innere Tertiarisierung zunehmend auch zu Dienstleistungsgewerkschaften geworden. Die Abgrenzung von Organisationsbereichen nach Branchen wird schwieriger als in der Vergangenheit. Die Branchengrenzen verschwimmen, die Zuordnung neuer Branchen (wie Mobilfunk) ist unklar, die Zugehörigkeit zu einer Wertschöpfungkette ist wichtiger als die Branchenzugehörigkeit (z.B. Textilien für die Automobilindustrie).
Trotz vielfachen Outsourcings und wachsender Spezialisierung ist damit zu rechnen, dass viele Industrieunternehmen in Deutschland sich weiter nach innen differenzieren werden. Viele Dienstleistungstätigkeiten sind wegen der Orientierung auf Qualitätsprodukte eng mit der Industrieproduktiion verknüpft und gehören mit zum Kerngeschäft. Die Gelsenkirchener Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass infolge der äußeren Teriarisierung zwar die Beschäftigtenzahl im Organsaitonsbereich der Industriegewerkschaften schrumpft, sich aber durch die innere Tertiarisierung neue gewerkschaftlich organisierbare Beschäftigtengruppen herausbilden.
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