Kosten und Nutzen von Weiterbildung


Wer heute auf dem Arbeitsmarkt seine Chancen wahren will, wird von allen Seiten mit der Forderung nach „lebenslangem Lernen“ konfrontiert. Und der Markt der Anbieter von beruflicher Weiterbildung boomt. Dennoch verweigern sich erhebliche Teile der Erwerbsbevölkerung dieser Verhaltenserwartung, weil ihre subjektive Kosten-Nutzen-Bilanz gegen eine Teilnahme spricht. Das ist eines der zentralen Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum Thema „Weiterbildungsabstinenz“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde.

Das Projekt des ISO Institut zur Erforschung sozialer Chancen in Köln untersuchte Nicht-Teilnahme an beschäftigungsnaher Weiterbildung in ihren unterschiedlichen Formen zwischen Ausgrenzung, Desinteresse und Widerstand gegen Wandel. Um den Kontext der Adressaten der Weiterbildungsforderung zu erhellen, wurden sowohl die Strukturen von Beteiligung und Nicht-Beteiligung in Deutschland als auch regionale Strukturbedingungen und institutionelle Infrastruktur der den potentiellen Weiterbildungsteilnehmern näheren regionalen Umwelt nachgezeichnet. Sozio-biographische Interviews erschließen die subjektiven Begründungen von Kosten und Nutzen beruflicher Weiterbildung. In Gruppendiskussionen und einer Zukunftswerkstatt entwickelten Nichtteilnehmer und potentielle Nichtteilnehmer Alternativen wünschbarer erwerbsbezogener Weiterbildung, die schließlich mit regionalen Anbietern von Weiterbildung diskutiert wurden.

Das zentrale Ergebnis der Untersuchungen ist die unmissverständliche Bestätigung der Annahme, dass Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an beschäftigungsnaher Weiterbildung Resultat von individuellen Kosten-Nutzen-Überlegungen ist. Die Frage nach dem Sinn einer Beteiligung, ihrer Kosten und des Nutzens im weitesten Sinne, deren Abwägung gegeneinander in der Bilanzierung beherrschten die biographischen Interviews. Der Sinn beschäftigungsnaher Weiterbildung muss individuell, vor dem Hintergrund der eigenen und auch der kollektiven Erfahrung nachvollzogen werden können. Als Kosten thematisierten die Interviewten den Einsatz an Lebensqualität bemerkenswert häufiger als den monetären Aufwand. Ein Nutzen als fremdbestimmt erlebter Weiterbildung war vor allem für die nicht nachvollziehbar, die Erfahrungswissen als wesentlichen Qualifikationsbestandteil ansehen.

Ein durchgängiges Phänomen in den Interviews ist die Betonung dieses Erfahrungslernens. Die Berichte über Anpassungen und selbst initiiertes Umlernen beeindrucken. Es besteht, so lässt sich resümieren, eine weit verbreitete, als selbstverständlich geltende Bereitschaft zu lernen – durchaus auch „lebenslang“, nicht aber in formalisierten Veranstaltungen und um so unwilliger, je oktroyierter sie erscheinen; andererseits um so williger, je größer die Anschlussfähigkeit an die eigene Bildungs- und Erwerbsbiographie eingeschätzt wird. Dies führt schließlich zu einer eindeutigen Präferenz des Lernens im Arbeitsvollzug. Insofern erscheint die Bildungswiderstandsthese ebenso bestätigt (formalisierte Weiterbildungsveranstaltungen werden tendenziell negativ bilanziert und gemieden) wie verworfen (Weiterlernen geschieht alltäglich, allerdings anders als in traditionellen Kursen oder Seminaren – und dort ist dann auch Offenheit gegeben).

Weiterbildung wird von den Nicht-Teilnehmern also nicht per se in Frage gestellt, vielmehr werden vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen im Berufsleben dezidiert Funktionen reklamiert, die sie biographisch anschlussfähig machen würde. Möglicherweise werden die alltäglichen Lernprozesse innerhalb eines Erwerbslebens von den „Akteuren“ des institutionalisierten Weiterbildungsgeschehens schlicht unterschätzt: In der erwachsenenpädagogischen Praxis, vor allem auch in deren politischer Rahmengestaltung, sind die bildungs- und berufsbiographischen Strategien der Nicht-Teilnehmer an Weiterbildungsveranstaltungen weitgehend blinde Flecken – in weiten Teilen fremde Bildungswelten. Diesen Titel trägt die abschließende Veröffentlichung des Projekts, in der die Ergebnisse präsentiert werden und ein bildungstheoretisches Resümee gezogen wird.


Axel Bolder und Wolfgang Hendrich: Fremde Bildungswelten. Alternative Strategien lebenslangen Lernens, Studien zur Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, 18, Opladen: Leske + Budrich, 2000, ISBN 3-8100-2884-3, DM 48,-

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Renate Schneider

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