Finanztransfers: Konjunkturprogramm für den Westen – Bremse für den Osten?
Werkstattgespräch zur „fragmentierten Entwicklung“ in Ostdeutschland
Die Finanztransfers von West nach Ost haben, jedenfalls in ihrer derzeitigen Form, tendenziell nicht den Effekt, die Produktionslücke und Unterbeschäftigung im Osten langfristig zu beseitigen; eher „zementieren“ sie diese, während sie im Westen als Konjunkturprogramm funktionieren. Es besteht die Gefahr, dass Ostdeutschland zum deutschen Dauerproblem wird, wenn die Transfers nicht stärker dem Aufbau neuer Produktionskapazitäten dienen. Diese These vertrat Dr. Ulrich Busch (Zentrum für Technik und Gesellschaft an der TU Berlin) bei einem Werkstattgespräch des Forschungsverbundes Sozioökonomische Berichterstattung in Deutschland (soeb.de) am 11. April in Berlin.
Im Zentrum der Tagung des Forschungsverbundes Sozioökonomische Berichterstattung stand das paradoxe Nebeneinander von Erfolgsgeschichten und düsterem Gesamtbild in Ostdeutschland: Es gibt herausragende Beispiele überdurchschnittlicher Produktivität und weltmarktfähiger Produkte, aber die wirtschaftliche Gesamtentwicklung stagniert, die Unterbeschäftigung nimmt nicht ab, es ist eine weitere Abwanderung junger und qualifizierter Personen sowie eine Zunahme sozialer Probleme zu befürchten. Dr. Rainer Land (Thünen-Institut für Regionalforschung) fasst diesen Zusammenhang von Auf- und Abwärtsbewegungen als „fragmentierte Entwicklung“.
Die Wissenschaftler erkennen Anzeichen dafür, dass die problematischen Tendenzen sich nicht auf Ostdeutschland beschränken lassen, sondern Ausdruck eines weiter reichenden Umbruchs sind. Das Nebeneinander von Leuchttürmen und Stagnation, der Ausschluss „überflüssiger“ Bevölkerung aus dem Arbeitsleben, Abwanderung aus „Problemregionen“, Schrumpfungsprozesse – all diese Entwicklungen sind im Einzelnen auch in Westdeutschland zu beobachten. Dennoch stellen sie sich im Osten in spezifischer Form und Schärfe: Die fragmentierte Entwicklung in Ostdeutschland bleibt auf Dauer eine Herausforderung für die Forschung ebenso wie für die politische Gestaltung. Auf der Basis der vorliegenden Forschungen ist sie nur teilweise zu verstehen – ein neuer Anlauf der Ostdeutschlandforschung ist dringend erforderlich.
Die vorgestellten Forschungsergebnisse und Thesen wurden lebhaft von den insgesamt gut 40 Teilnehmern des Werkstattgesprächs diskutiert. Darunter befanden sich Sozial-, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, Statistiker, Raum- und Regionalforscher sowie Vertreter von Politik und Ministerien. Das Werkstattgespräch ist Teil einer Serie von Tagungen, die der Vorbereitung eines zweiten Berichts der Sozioökonomischen Berichterstattung in Deutschland dienen. Ein erster Bericht ist in Buchform 2005 im Verlag für Sozialwissenschaften (VS) erschienen, der zweite ist für das Jahr 2008 vorgesehen.
Der Forschungsverbund Sozioökonomische Entwicklung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Bessere Daten für eine bessere Politik“ gefördert.
Weitere Informationen erhalten Sie jederzeit über den Pressesprecher des Projekts, Frank Seiß, ISF München, Tel. 089/272921-78, frank.seiss@isf-muenchen.de
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