Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte – Erwartungen und erste Ergebnisse

Seit mehr als drei Jahren gilt in Deutschland das neue Energiewirtschaftsrecht: Gravierende Umbrüche althergebrachter Unternehmensstrukturen haben das Bild dieser Jahre ebenso geprägt wie das Entstehen vollständig neuer Marktstrukturen. Die Strompreise bilden sich nicht mehr nach den Kosten der Versorgung, sondern nach Angebot und Nachfrage – ein bis dahin weitgehend unbekannter Mechanismus. Auch wenn dieser Prozess mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist, so stellt sich die Frage, ob die bislang beobachtete Entwicklung die Erwartungen der politischen Entscheidungsträger, der Versorger und nicht zuletzt der Verbraucher erfüllt hat.
Für die industriellen Stromverbraucher sind die Erwartungen sicherlich in Erfüllung gegangen: Ihre Strompreise sind trotz Stromsteuer (0,6 Pf/kWh seit dem 1. Januar 2001) in den letzten beiden Jahren um mehr als 25 vH gesunken. Auch in der Landwirtschaft und im Gewerbe haben die Senkungen die Zusatzbelastungen durch die Stromsteuer, die dort seit dem 1. Januar 2001 doch immerhin 3,0 Pf/kWh, d.h. zwischen 10 und 15 vH des Preises ausmacht, mehr als kompensiert. Für die privaten Haushalte fällt die Bilanz nicht ganz so positiv aus: Bis Ende des letzten Jahres lagen die Strompreise mit 24,15 Pf/kWh noch auf dem Niveau vor Beginn der wettbewerblichen Öffnung (Anfang 1998: 24,20 Pf/kWh), seit Mitte dieses Jahres sogar um 1,5 Pf/kWh über dem Niveau von 1998.
Auf dem Gasmarkt blieben ähnliche Preiswirkungen bislang aus, im Gegenteil: Seit Beginn des Jahres 1999 sind die Preise für alle Verbrauchergruppen deutlich angestiegen und liegen je nach Anpassungsklauseln in den Gasbezugsverträgen um bis zu 60 vH über denen zu Beginn des Jahres 1999. Überraschend ist dies allerdings kaum, denn die gesetzlichen Neuregelungen für den Gasmarkt weisen gegenüber jenen für den Strommarkt einen Rückstand von zwei Jahren auf, und die Preise für den Gaseinkauf orientieren sich unverändert am Ölpreis.
Der Preisrückgang auf dem Strommarkt hat die Produktionskosten in der gewerblichen Wirtschaft deutlich verringert. Diese Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit setzte positive makroökonomische Impulse frei: das BIP hat sich allein durch diese Kostensenkungen etwa um 0,14 vH pro Jahr erhöht, der Arbeitsmarkt wurde trotz Freisetzungen in der Elektrizitäts- und Gasversorgung von etwa 40 000 Personen per saldo um etwa 20 000 zusätzliche Arbeitsplätze entlastet.
Die wettbewerbliche Öffnung hat die Konzentration in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft deutlich erhöht. Die Stromerzeugung konzentriert sich inzwischen zu mehr als die Hälfte auf zwei Unternehmen (RWE und E.ON), bei einzelnen Brennstoffen (Kernenergie, Braunkohle) ist der Konzentrationsgrad noch höher. Da Kernenergie und Braunkohle aufgrund der niedrigen variablen Kosten im Dauerbetrieb eingesetzt werden, beherrschen diese beiden Unternehmen die Grundlast mit mehr als 60 vH und die Mittellast knapp zur Hälfte. Ähnliche Konzentrationsgrade gelten für das Transportnetz. Zwar nimmt durch die Übernahme der BEWAG durch Vattenfall die vierte Kraft im deutschen Strommarkt konkrete Gestalt an. Ob damit allerdings die Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb in der Stromerzeugung erfüllt sind und der Aufbau einer vierten Kraft tatsächlich gelingt, wird sich erst noch erweisen müssen.
Denn während die VEAG mit den Regional- und Kommunalversorgern nur über Lieferverträge verbunden ist, bestehen zwischen den übrigen Verbundunternehmen und den Regional- und Kommunalversorgern vielfältige Kapitalverflechtungen, die die freie Wahl des Lieferanten erheblich einschränken. Während 1997 die beiden größten Unternehmen (RWE und PreussenElektra) weniger als die Hälfte (45,5 vH) der Abgabe von Regional- und Kommunalversorgern kontrollierten, waren dies Mitte des Jahres 2000 knapp drei Viertel (73,1 vH). Neben eigenen Neuerwerbungen oder Kapitalaufstockungen dürften hierfür auch die über die Contigas und die Thüga hinzugewonnen, indirekten Beteiligungen verantwortlich sein. Diese marktbeherrschende Stellung wird sich im nationalen Rahmen, etwa durch einen Zusammenschluss von VEAG, HEW und BE-WAG, nicht mehr korrigieren lassen. Denn die mittelbare Abgabe dieser drei Unternehmen erreicht mit 7,5 TWh nur einen Bruchteil der Summe, die RWE und E.ON mit 170,7 TWh auf sich vereinigen.

(aus: RWI-Papiere, Nr. 73)

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