Unterwegs nach Bangalore
In der öffentlichen Debatte in Deutschland steht der südindische Standort Bangalore als recht diffuse Chiffre für die Bedrohungen, aber auch die Chancen der Globalisierung – gerade wenn es um hoch qualifizierte Tätigkeiten wie Software-Entwicklung geht.
Kaum ein großes Software-Unternehmen verzichtet auf Niederlassungen oder Partner in der „Electronic City“. Ist die IT-Branche in Europa und Nordamerika unterwegs nach Bangalore? Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt Export IT wird hinter die Fassade von Wirtschaftsdaten, Aktienkursen und Imagebroschüren blicken. Arbeits- und Industriesoziologen erforschen, wie an diesem Knotenpunkt der weltweiten Informationsströme gearbeitet, geplant, gemanagt und international kooperiert wird.
Sie gehen auf die Suche nach Internationalisierungsstrategien, die dauerhaften Erfolg versprechen – und das heißt auch: die die Interessen der hoch qualifizierten Beschäftigten berücksichtigen, in Deutschland wie in Indien. Das Forschungsteam plant neben wissenschaftlichen Publikationen auch einen Reisebericht. Interessierte Medien sind schon im Vorfeld eingeladen, Kontakt zu dem Projekt aufzunehmen.
Diese sozialwissenschaftliche Expedition, die vom 26. Oktober bis zum 10. November 2006 dauert, ist Teil eines umfassenden, auf vier Jahre angelegten Forschungsvorhabens, das „Erfolgsfaktoren der Internationalisierung und der Exportfähigkeit von IT-Dienstleistungen“ identifizieren will. Nachhaltige Internationalisierungsstrategien sind gefragt, die geeignet sind, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstumspotenziale und qualifizierte Beschäftigung dauerhaft zu stabilisieren und auszubauen. Beteiligt sind: ein Team erfahrener Sozialwissenschaftler aus dem ISF München; die Software-Unternehmen SAP, T-Systems, IDS Scheer, Software AG und Inosoft als „Core-Partner“; Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften als Experten und Transferpartner; und die Beratungsfirma Input Consulting für den Ergebnistransfer. Die Forscher werden in dieser Projektphase indische Tochterunternehmen der Core-Partner besuchen, die vor allem in Bangalore ihren Standort haben, und dort Interviews mit Beschäftigten, Managementvertretern und Experten durchführen. Weitere Untersuchungen in Ostmitteleuropa und in den USA sind für das Jahr 2007 vorgesehen: in Kosice/Slowakei, Budapest/Ungarn und Palo Alto/Kalifornien.
Die Sozialforscher diagnostizieren eine neue Phase der Internationalisierung: Die Fähigkeit, Dienstleistungen international verteilt zu erstellen, wird zunehmend zum Muss für die IT-Unternehmen. Doch nicht alle Versuche in dieser Richtung sind Erfolgsstorys: Internationalisierung von IT-Dienstleistungen ist ein höchst anspruchsvolles Projekt, dessen Probleme und Kosten häufig unterschätzt werden. Es besteht die Gefahr, mit Blick auf kurzfristige, optimistisch eingeschätzte Kostenvorteile die eigene produktive Basis aufs Spiel zu setzen: die hoch qualifizierten und motivierten Beschäftigten. Kleinere Unternehmen sehen sich zudem dem Risiko einer „gefährdeten Autonomie“ ausgesetzt – sie brauchen internationale Kooperation, ohne ihre eigenständige Gestaltungsfähigkeit einzubüßen. Um tragfähige Internationalisierungsstrategien zu entwickeln, reichen Kennziffern, Wirtschaftsdaten und Börsenkurse nicht aus. Das Projekt Export IT untersucht, wie international organisierte Arbeit und Kooperation in der IT konkret aussieht, und identifiziert Erfolgsfaktoren geglückter Internationalisierung. Das geht nicht ohne den gesellschaftlichen Kontext: Die Folgen für die Beschäftigung, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen (in Deutschland wie in anderen Ländern) können nicht außen vor gelassen werden.
Zu einer Expedition gehört klassischerweise nicht nur eine wissenschaftliche Auswertung der Resultate, sondern auch ein Expeditionsbericht. Er schildert und verarbeitet die Eindrücke und Erfahrungen, die die Teilnehmer im Expeditionsgebiet gemacht haben. Bangalore ist ja nicht ein Punkt in den weltweiten Informations- und Kommunikationsnetzen, sondern auch ein wirklicher Ort, an dem wirkliche Menschen in einer wirklichen Umgebung arbeiten und leben. Und das mag für das Glücken von Internationalisierungsstrategien eine größere Rolle spielen, als oft vorausgesetzt wird. Daher greift das Projekt die traditionsreiche Form des Expeditionsberichts auf, der sich an eine breitere Öffentlichkeit richtet und von einer Sozialforscherin mit journalistischen Erfahrungen vorgelegt wird.
Das Projekt Export IT wird koordiniert vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung – ISF München, die Leitung hat PD Dr. Andreas Boes inne. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung innerhalb der Förderinitiative „Exportfähigkeit und Internationalisierung von Dienstleistungen“, die Betreuung liegt beim Projektträger DLR Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen, Bereich „Innovationen mit Dienstleistungen“. Bisherige Ergebnisse, aktuelle Nachrichten und weiterführende Informationen sind auf der Website des Projekts, http://www.export-it.de, zu finden. Dort können Sie auch die Profile der beteiligten Wissenschaftler nachlesen.
Das ISF München ist ein unabhängiges, seit 1965 bestehendes Sozialforschungsinstitut mit gut 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und spielt eine führende Rolle auf den Gebieten der Arbeits- und Industriesoziologie.
Ansprechpartner: Frank Seiß, Pressearbeit am ISF München, Tel. 089/272921-78, frank.seiss@isf-muenchen.de
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