Zwischenbilanz zur Zukunftsstrategie der EU beim Wirtschaftsgipfel: Gute Noten bekommen nur wenige Länder
Eine nachhaltige Fiskalpolitik und wirtschaftliches Wachstum schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern harmonieren miteinander. Insgesamt hat die EU reale Chancen, die Ziele des Lissabon-Prozesses und ihre Maastricht-Vorgaben zu erreichen. Allerdings haben die meisten EU-Staaten noch einen weiten Weg vor sich, um auch langfristig haushaltspolitische Stabilität und dynamisches Wirtschaftswachstum wie etwa die USA oder Kanada zu erreichen.
Dies ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung, die die Erfolgsaussichten von 30 OECD- und EU-Staaten untersucht. Erstmals wurden für dieses so genannte LiMa-Benchmark sowohl die Ziele der Lissabon-Agenda als auch die Maastricht-Kriterien in ihrer Wechselwirkung untersucht. Neben dem Status quo wurden die langfristigen Zukunftsperspektiven der einzelnen Länder bewertet.
Danach sind vor allem die nordeuropäischen Sozialstaaten und die angelsächsisch geprägten Wirtschaften am besten in der Lage, die europäischen Normen zu erfüllen. Die kontinentaleuropäischen und mediterranen Wirtschaftssysteme weisen dagegen noch erhebliche Defizite bei vielen der vereinbarten Kriterien auf. Auch die Mitglieder der Euro-Gruppe schneiden insgesamt unter dem EU-Durchschnitt ab.
So können im Vergleich zu anderen Industriestaaten nach heutigem Stand neben Luxemburg nur Schweden, Finnland und Dänemark eine Performance aufweisen, wie sie die USA, Norwegen, die Schweiz oder Kanada zeigen. Die übrigen EU-Staaten weisen anhand zahlreicher Indikatoren zum Teil erhebliche Abweichungen und Defizite auf. Dabei können etwa Großbritannien, Irland, die Niederlande sowie die baltischen und iberischen Staaten vor allem durch eine nachhaltige Finanzpolitik überzeugen. Die meisten der kontinentaleuropäischen Länder haben hier zum Teil massive Probleme. Zu ihnen zählen auch Deutschland und Frankreich sowie die meisten der osteuropäischen Beitrittsstaaten. Zugleich aber unterscheiden sie sich untereinander noch durch ihre Wachstumspotenziale. So liegen etwa Deutschland oder Belgien über dem EU-Durchschnitt und haben eine vergleichbar positive Perspektive wie etwa die Volkswirtschaft von Japan. Dagegen liegen die meisten Kontinentaleuropäer auch bei den Lissabon-Zielen deutlich zurück. Die Schlusslichter in der finanz- und wachstumspolitischen Zukunftsperspektive bilden Griechenland und Italien.
Trotz der aktuell verbesserten Haushaltslage erfüllt Deutschland nach dieser Studie noch immer nicht die Kriterien einer nachhaltigen Fiskalpolitik, wie sie die Maastricht-Kriterien fordern. Obwohl zuletzt die Verschuldungsquote des Landes für 2006 auf nur noch 1,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) begrenzt werden konnte, fällt die mittel- und langfristige Betrachtung für Deutschland eher negativ aus. Bei der Bewertung der fiskalischen Nachhaltigkeit erreicht Deutschland unter allen bewerteten 30 Industriestaaten nur den vorletzten Platz vor Italien. Dagegen kann Deutschland auch langfristig mit hohen Wachstumschancen rechnen und braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. In Bezug auf die Lissabon-Ziele findet es sich auf einem guten mittleren Platz hinter Ländern wie Dänemark und Großbritannien.
„Unsere Studie bestätigt indirekt aktuelle Erkenntnisse in der Diskussion über ein europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell“, folgert Joachim Fritz-Vannahme, Leiter der Europa-Projekte der Bertelsmann Stiftung. „Danach scheinen die nordischen Wohlfahrtsstaaten mit einer steuerbasierten sozialen Sicherung und ausgedehnten Erwerbsmöglichkeiten am besten in der Lage zu sein, die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen und die Ziele der EU zu erfüllen.“ Ähnlich erfolgreich würden auch die angelsächsisch geprägten Gesellschaften wie Großbritannien, Irland, aber auch die USA oder Kanada mit niedriger Steuerlast, geringer Arbeitsmarktregulierung und sehr fokussierten sozialpolitischen Programmen diese Ziele erreichen. Fritz-Vannahme: „Die zentraleuropäisch-konservativen Modelle wie in Frankreich, Deutschland oder Belgien mit einer Dominanz der Sozialversicherung und einer hohen Belastung des Faktors Arbeit haben nach unserer Betrachtung zwar insgesamt große Wachstumspotenziale, müssten ihre Erfolgsnachweise aber insgesamt noch erbringen.“ Der Projektleiter Europa der Bertelsmann Stiftung weiter: „Der mediterrane Wirtschafts- und Sozialtypus mit einem rudimentären Wohlfahrtsstaat kann überhaupt nicht mehr überzeugen, zumal wenn notwendige Strukturreformen ausbleiben, wie es das Beispiel Italien augenfällig beweist.“
Eine der wichtigsten Erkenntnisse dieser Vergleichsstudie, so die Bertelsmann Stiftung, sei der Nachweis, dass sich die beiden Zielgrößen „Lissabon“ und „Maastricht“ nicht gegenseitig ausschließen, sondern synergetisch ergänzen. „Staaten, die beide Ziele mit gleicher Priorität anstreben, können mittelfristig erfolgreicher sein als diejenigen, die hier einseitige Gewichtungen vornehmen. Hier bestätigen sich noch mal auch die Erkenntnisse des Internationalen Standort-Rankings der Bertelsmann Stiftung.“
Gleichzeitig zeige sich aber auch, so Joachim Fritz-Vannahme, dass der europäischen Politik ein wirksamer Sanktions- und Anreizmechanismus fehle: „Weder die Konvergenzkriterien der Währungsunion noch die EWS-Sanktionen der Euro-Zone sind hier effektive Instrumente, um die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Volkswirtschaften zu beflügeln. Trotz vielfältiger Verbesserungen in den vergangenen Jahren fehlt es den europäischen Programmen an einer politischen Verbindlichkeit und Einklagbarkeit.“ Dafür müsse die EU-Kommission gestärkt werden, um Defizite und Erfolgsfaktoren in den jeweiligen Mitgliedsstaaten transparent zu machen und gleichzeitig wirksam zu sanktionieren. Darüber hinaus könne beispielsweise die Revision der EU-Finanzen in den Jahren 2008/09 dazu genutzt werden, um mehr Ressourcen für die Umsetzung der Lissabon-Strategie auf nationaler wie europäischer Ebene bereit zu stellen.
Die LiMa-Benchmarkstudie der Bertelsmann Stiftung, die in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erarbeit wurde, untersucht, in welchem Umfang die EU-Mitgliedstaaten auch im Vergleich zu anderen OECD-Staaten der doppelten Zielsetzung gerecht werden. Die Fokussierung richtet sich auf die Wachstumsdimension des Lissabon-Ziels sowie auf die Nachhaltigkeit der Fiskalpolitik. Basierend auf Erkenntnissen über Determinanten des Potenzialwachstums und einer nachhaltigen Fiskalpolitik wurden quantitative Indikatoren entwickelt, die den jeweiligen Grad der Zielerreichung erfassen.
Rückfragen an:
LiMa-Studie und Europapolitik:
Joachim Fritz-Vannahme, Telefon: 0 52 41 / 81-81 421
E-Mail: joachim.vannahme@bertelsmann.de
Dr. Dominik Hierlemann, Telefon: 0 52 41 / 81-81 537
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