Europa-Ranking: Hohe Erwerbstätigenquote, aber auch sehr viel kurze Teilzeit in Deutschland
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland erreicht einen Höchststand. Doch der Anteil von Teilzeit- oder Minijobs ist höher als in anderen europäischen Ländern. Stellt man das in Rechnung, fällt Deutschland bei der Erwerbstätigenquote im europäischen Vergleich von Position fünf auf Position elf ab. Insbesondere viele Frauen arbeiten weniger, als sie möchten. Das ergibt eine neue Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.*
Die Arbeitslosenquote ist in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, die Zahl der Beschäftigten gestiegen. Manche sprechen schon vom deutschen „Jobwunder“. Doch es gibt noch eine andere Seite: Die Zahl der Erwerbstätigen fällt auch deshalb so hoch aus, weil viele Deutsche in Teilzeit- oder Minijobs arbeiten, zeigt PD Dr. Sven Schreiber vom IMK.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassung: Die Erwerbstätigenquote – also der Anteil derjenigen, die einer Arbeit nachgehen, verglichen mit der gesamten Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – lag hierzulande im Jahr 2013 bei gut 77 Prozent. Damit landet Deutschland im Vergleich von insgesamt 33 europäischen Ländern immerhin auf Platz fünf. In kaum einem anderen Land in Europa haben also so viele Menschen eine Arbeit wie in der Bundesrepublik. Nur in Island, der Schweiz, Schweden und Norwegen liegt die Erwerbstätigenquote noch höher.
Die Zahlen sagen jedoch nichts über die Art der Beschäftigung aus oder darüber, wie viel die Menschen arbeiten. „Die nominelle Erwerbstätigenquote beruht auf einer reinen Personenzählung ohne zwischen Vollzeit- und Teilzeittätigkeiten zu unterscheiden“, schreibt Ökonom Schreiber. Insofern könne eine hohe Erwerbstätigenquote auch irreführend sein.
In seiner Analyse hat Schreiber eine korrigierte Erwerbstätigenquote errechnet, die nicht allein die Zahl der Erwerbstätigen, sondern auch deren Arbeitszeit berücksichtigt. Dazu hat der Wissenschaftler auf Daten aus der europäischen Arbeitskräfteerhebung (AKE) zurückgegriffen. In der AKE werden die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in verschiedenen europäischen Ländern abgefragt – sowohl für die Haupttätigkeit als auch für Nebentätigkeiten.
Um die Erwerbstätigenquote um Teilzeiteffekte zu bereinigen, hat Schreiber alle Arbeitsstunden auf Vollzeitstellen umgerechnet. Ergebnis: Bei der korrigierten Erwerbstätigenquote steht Deutschland mit gut 66 Prozent deutlich schlechter da, im europäischen Vergleich nur noch auf Platz elf.
Zwei Faktoren tragen dazu bei, dass die Korrektur für Deutschland besonders stark ausfällt: Erstens gibt es einen hohen Anteil an Teilzeitarbeit, zweitens arbeiten die Teilzeitbeschäftigten vergleichsweise kurz.
In Deutschland arbeitet etwa ein Viertel der Beschäftigten in Teilzeit. Höher fällt der Anteil nur in den Niederlanden und der Schweiz aus. Wenig verbreitet ist Teilzeitarbeit dagegen in östlichen oder südlichen Ländern Europas – der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen liegt dort meist im einstelligen Prozentbereich.
„In Deutschland gehen der hohe Anteil der Teilzeittätigkeiten sowie das geringe Teilzeitstundenniveau einher mit der Verbreitung von Minijobs“, erklärt Schreiber. „Minijobber machten etwa die Hälfte der gesamten Teilzeitbeschäftigten in Deutschland aus.“
Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes gelten 3,1 Millionen Menschen in Deutschland als „unterbeschäftigt“, das heißt sie sind zwar erwerbstätig, haben aber den Wunsch nach zusätzlichen Arbeitsstunden und stehen für diese auch zur Verfügung. Davon sind 1,7 Millionen in Teilzeit beschäftigt. Bei den Teilzeitbeschäftigten handelt es sich überwiegend um Frauen.
In vielen Fällen dürfte Teilzeitarbeit nicht freiwillig gewählt sein: Drei Viertel der Befragten in der Arbeitskräfteerhebung gaben an, dass sie entweder keine Vollzeitstelle finden konnten oder aus familiären Gründen – etwa der Betreuung von Kindern und Angehörigen – Teilzeit arbeiten. Schreiber sieht hier Handlungsbedarf: Damit alle die gleichen Chancen hätten, am Arbeitsleben teilzunehmen, müsse die Politik die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verbessern.
Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung
PD Dr. Sven Schreiber
IMK
Tel.: 0211-7778-596
E-Mail: Sven-Schreiber@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_103_2015.pdf – *Sven Schreiber, Erwerbstätigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich, IMK Report 103.
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