Jeder staatlich investierte Euro steigert Wirtschaftsleistung um 1,30 bis 1,80 Euro
Öffentliche Investitionen sind ein gutes, schnell wirkendes Mittel, um eine Konjunkturflaute abzumildern. Jeder Euro, den der Staat zusätzlich investiert, steigert die Wirtschaftsleistung um 1,30 bis 1,80 Euro.
Das zeigt eine neue Meta-Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), für die mehr als 100 internationale Studien ausgewertet wurden.* Steuersenkungen wirken deutlich schwächer auf die Konjunktur (siehe auch die Infografik; Link unten).
Lange Zeit war ein aktiver Eingriff des Staates in die konjunkturelle Entwicklung – die sogenannte diskretionäre Fiskalpolitik – verpönt. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise legten jedoch viele Länder Konjunkturprogramme zur Stabilisierung des Wachstums auf. Und siehe da:
Nach tiefen Einbrüchen erholte sich die Konjunktur zumindest in Deutschland und China schneller als erwartet. Gleichwohl schwenkten die USA und viele europäische Staaten noch vor dem Abklingen der Krise auf einen teilweise drastischen Sparkurs um. Die Folge: In den Ländern mit den härtesten Konsolidierungsprogrammen brach die Wirtschaft erneut ein.
Grund genug, die Wirkung von staatlichen Eingriffen genauer zu untersuchen. In der Untersuchung des IMK wurden 104 internationale Studien zum Thema statistisch ausgewertet, deren Datengrundlage von den 1930er Jahren bis heute reicht.
Ihr Interesse galt dem so genannten Fiskalmultiplikator, der die Wirkung eines staatlichen Konjunkturpakets oder Sparprogramms auf die wirtschaftliche Entwicklung misst. Bei einem Multiplikator von Eins sind Effekt und Impuls gleich hoch, verstärkende und schwächende Reaktionen gleichen sich gerade aus. Ein Euro, der zusätzlich für eine bestimmte Maßnahme aufgewendet wird, lässt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um einen Euro steigen. Je höher der Multiplikator, desto größer ist die stimulierende Wirkung eines Konjunkturpakets – und desto stärker ist der wachstumsdämpfende Effekt einer Konsolidierung.
– Wirkung bei Ausgaben stärker als auf der Einnahmeseite –
„Es zeigt sich, dass der Wert des Multiplikators für fiskalische Impulse auf der Ausgabenseite des Staates im Mittel der untersuchten Studien nahe bei Eins liegt, wobei die Spannbreite der Ergebnisse recht hoch ist“, so die Wissenschaftler. Öffentliche Investitionen erweisen sich dabei als wirksamste Waffe zur Belebung der Konjunktur – wirksamer als höherer Staatskonsum, mehr staatliche Beschäftigung oder eine Anhebung der Militärausgaben. Der Multiplikator öffentlicher Investitionen liegt bei 1,3 bis 1,8 – sprich: Lenkt man einen Euro der allgemeinen Staatsausgaben in öffentliche Investitionen um, steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,30 Euro bis 1,80 Euro, also stärker als der ursprüngliche Impuls.
Einnahmeseitige Impulse hingegen weisen einen Multiplikatoreffekt unter eins auf, in manchen der ausgewerteten Studien lag er sogar deutlich darunter. Die Wirkung von Steuersenkungen ist demnach spürbar geringer als die von ausgabeseitigen Maßnahmen.
Ihre Erkenntnisse haben die IMK-Forscher auch in Modellrechnungen einfließen lassen, um zu prüfen, wie viel stärker die deutsche Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren gewachsen wäre, wenn die öffentlichen Investitionen die Abschreibungen auf Schulen, Straßen und Brücken zumindest ausgeglichen hätten.
Fakt ist: Von 2003 bis 2013 hat sich ein Substanzverlust von 35 Milliarden Euro angehäuft. Hätten die Staatsausgaben die Abschreibungen ausgeglichen, dann wäre seit 2003 auch das BIP höher ausgefallen. Über die Jahre hätte sich bei kreditfinanzierten Investitionsausgaben das zusätzliche Wachstum nach der IMK-Berechnung auf 38,7 bis 56,3 Milliarden Euro summiert.
„Die Ergebnisse zeigen, dass diskretionäre Fiskalpolitik, sobald die entsprechenden Maßnahmen beschlossen sind, entgegen der lange Zeit verbreiteten Behauptung rasch realwirtschaftlich wirksam ist“, fassen die Wissenschaftler zusammen. Bei angespannter Haushaltslage – oder wenn, wie in der Bundesrepublik, eine Schuldenbremse greift – empfiehlt das IMK zur Ankurbelung der Konjunktur steuerfinanzierte Investitionsprogramme. Das hätte im Falle Deutschlands über die Jahre 2003 bis 2013 eine höhere Wirtschaftsleistung von insgesamt 21,1 bis 42,2 Milliarden Euro bedeutet.
Darüber hinaus konstatieren die Wissenschaftler eine weitere Wirkung von diskretionärer Fiskalpolitik, die wahrscheinlich sogar am bedeutsamsten sei: Sie schafft Vertrauen. Wenn der Staat sich in einer Konjunkturkrise den allgemeinen Abwärtstendenzen mit Mehrausgaben entgegenstelle, schränkten auch die privaten Haushalte ihren Konsum nicht übermäßig ein, und Unternehmen trauten sich weiter zu investieren. „Dass eine restriktive diskretionäre Fiskalpolitik umgekehrt auch Vertrauen zerstören kann, indem sie Einkommenserwartungen den sicheren Boden entzieht, zeigt die Entwicklung in den Krisenländern des Euroraums“, erläutern die Forscher. Die Kürzung öffentlicher Ausgaben sorgte dafür, dass auch Privathaushalte und Unternehmen Konsum und Investitionen einschränkten, sodass sich der restriktive Impuls und mit ihm die Krise sogar noch verstärkten.
Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung
Prof. Dr. Gustav A. Horn
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Tel.: 0211-7778-331
E-Mail: Gustav-Horn@boeckler.de
Sebastian Gechert
IMK, Experte für Fiskalpolitik
Tel.: 0211-7778-306
E-Mail: Sebastian-Gechert@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_92_2014.pdf – Gustav Horn, Sebastian Gechert, Katja Rietzler, Kai Daniel Schmid: Streitfall Fiskalpolitik – eine empirische Auswertung zur Höhe des Multiplikators, IMK Report Nr. 92, April 2014.
http://www.boeckler.de/hbs_showpicture.htm?id=46816&chunk=1 – Infografik zum Download im Böckler Impuls 7/2014
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