WSI-Bericht: 14 EU-Länder erhöhen Mindestlöhne, doch Austeritätskurs bremst Entwicklung
Die Mehrheit unter ihnen hat ihre Lohnuntergrenze zum Jahresbeginn angehoben. Doch Massenarbeitslosigkeit in den Euro-Krisenstaaten sowie der strikte Sparkurs, den die nationalen Regierungen auch auf Drängen von EU-Kommission und IWF verfolgen, bremsen die Anpassung der Lohnuntergrenzen in Europa weiterhin stark ab, zeigt der neue Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
10,83 Euro in Luxemburg, 9,43 Euro in Frankreich, 9,01 Euro in den Niederlanden – zum 1. Januar 2013 haben 12 EU-Länder ihre gesetzlichen Mindestlöhne erhöht. Großbritannien und Belgien hatten schon im vergangenen Herbst aufgeschlagen. Gleichwohl habe sich zuletzt „die schwache Mindestlohnentwicklung der Vorjahre weiter fortgesetzt und in einigen europäischen Ländern sogar noch verschärft“, schreibt WSI-Tarifexperte Dr. Thorsten Schulten. Der Mindestlohnbericht erscheint in der Ausgabe 2/2013 der WSI-Mitteilungen.
Regelrecht dramatisch war der Verlauf in Griechenland. Die Regierung in Athen kürzte den Mindestlohn auf internationalen Druck um knapp 23 Prozent auf 3,35 Euro pro Stunde. Portugal, Irland, Rumänien und die Tschechische Republik froren ihr Lohnminimum ein.
In den Ländern, in denen es Erhöhungen gab, fielen diese meist geringer aus als in den Vorjahren. Nach Abzug der Inflation waren die realen Zuwächse bestenfalls bescheiden, etwa in Frankreich mit einem realen Plus von 0,3 oder in Belgien von 1,2 Prozent. In mehreren Ländern zehrte die Teuerung die Anhebung sogar auf. Das geschah nach Schultens Auswertung beispielsweise in den Niederlanden, Spanien oder Großbritannien, wo die gesetzlichen Mindestlöhne bereits seit mehreren Jahren real an Wert verlieren. Es gab allerdings auch Ausnahmen, zeigt der Wissenschaftler: Litauen erhöhte seinen Mindestlohn um preisbereinigt knapp 22 Prozent. In Polen und Bulgarien stiegen die Lohnminima real um gut drei und um fast 12 Prozent. Auch einige Länder außerhalb der EU hoben ihre Mindestlöhne spürbar oberhalb der Inflation an, darunter Argentinien, Südkorea und Brasilien.
In den westeuropäischen Euro-Ländern betragen die niedrigsten erlaubten Stundenlöhne nun zwischen 8,65 Euro in Irland und 10,83 Euro brutto in Luxemburg. In Großbritannien müssen umgerechnet mindestens 7,63 Euro gezahlt werden. Dieser Wert ist jedoch von der anhaltenden Schwäche des Britischen Pfunds beeinflusst. Sonst würde der britische Mindeststundenlohn heute bei gut neun Euro und damit auf westeuropäischem Durchschnittsniveau liegen, erklärt Schulten.
Die südeuropäischen EU-Staaten haben Lohnuntergrenzen zwischen knapp drei Euro in Portugal und 4,06 Euro auf Malta. Etwas darüber liegt mit 4,53 Euro Slowenien. In den meisten anderen mittel- und osteuropäischen Staaten sind die Mindestlöhne noch deutlich niedriger. Allerdings haben mehrere davon auch in den vergangenen Krisenjahren aufgeholt. So müssen in Polen jetzt mindestens 2,21 Euro pro Stunde bezahlt werden. Zudem spiegeln die Niveauunterschiede zum Teil auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Legt man Kaufkraftparitäten zugrunde, reduziert sich das Verhältnis zwischen dem niedrigsten und dem höchsten gesetzlichen Mindestlohn in der EU von 1:12 auf etwa 1:6.
Außerhalb der EU verfügen nach Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 80 weitere Staaten über eine allgemeine Untergrenze für Löhne. Exemplarisch betrachtet das WSI die Mindestlöhne in zehn Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, Australien, die Türkei, Japan und Brasilien. Sie reichen von umgerechnet 1,42 Euro in Brasilien und 2,17 Euro in der Türkei über 7,31 Euro in Japan bis zu 12,86 Euro in Australien.
In den Euro-Krisenstaaten werden die Lohnuntergrenzen unter Druck bleiben, prognostiziert WSI-Forscher Schulten. Allerdings träten vor allem auf Ebene der EU-Kommission die Nachteile und Widersprüche einer restriktiven Mindestlohnpolitik immer deutlicher zu Tage: So lobe die Generaldirektion Wirtschaft sinkende Mindestlöhne in Krisenländern. Fast gleichzeitig warne aber die Generaldirektion Beschäftigung und Soziales vor einer zunehmenden sozialen Polarisierung in Europa und bezeichne Mindestlöhne als wichtiges Instrument, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stabilisieren. Die Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre stützten diese Analyse, betont Schulten: „Nachdem das Scheitern der europäischen Austeritätspolitik und der damit verbundenen Politik der Lohnkürzungen immer offensichtlicher wird, ist auch eine grundlegende Wende in der Mindestlohnpolitik dringend geboten.“
Weitere Informationen:
http://www.boeckler.de/14_42303.htm
– PM mit Ansprechpartnern
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– Die Studie in den WSI Mitteilungen
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