Mikrobielle Cyborgs: Bakterien als Stromlieferanten
Noch bestehen elektronische Geräte aus unbelebten Materialien. Eines Tages könnten jedoch „mikrobielle Cyborgs“ in Brennstoffzellen, Biosensoren oder Bioreaktoren nützlich sein.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologe (KIT) haben hierzu die Voraussetzung geschaffen, indem sie ein programmierbares, biohybrides System entwickelten, das aus einem Nanokomposit-Material und dem Elektronen produzierenden Bakterium Shewanella oneidensis besteht.
Das Material dient als Stützgerüst für die Bakterien und leitet zugleich den mikrobiell erzeugten Strom. Über seine Ergebnisse berichtet das Forschungsteam in der Zeitschrift ACS Applied Materials & Interfaces (DOI 10.1021/acsami.9b22116).
Das Bakterium Shewanella oneidensis gehört zu den sogenannten exoelektrogenen Bakterien. Diese können im Stoffwechselprozess Elektronen erzeugen und zur Außenseite der Zelle transportieren. Der Versuch, diese Elektrizität nutzbar zu machen, war jedoch immer durch eine eingeschränkte Interaktion der Organismen mit der Elektrode begrenzt.
Im Unterschied zu herkömmlichen Batterien muss das Material bei dieser „Biobatterie“ nicht nur die Elektronen zu einer Elektrode leiten, sondern zugleich möglichst viele Bakterien optimal mit der Elektrode verbinden. Bislang waren jedoch leitende Materialien, in die Bakterien eingebettet werden können, entweder ineffizient oder es fehlte die Möglichkeit, den elektrischen Strom zu steuern.
Dem Team um Professor Christof M. Niemeyer gelang es nun, ein Nanokomposit-Material zu entwickeln, welches das Wachstum von exoelektrogenen Bakterien unterstützt und zugleich den Strom kontrolliert leitet. „Wir haben dazu ein poröses Hydrogel hergestellt, das aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen und Kieselsäure-Nanopartikeln besteht. Diese sind durch DNA-Stränge miteinander verwoben“, erläutert Niemeyer.
Dem Gerüst fügte die Arbeitsgruppe das Bakterium Shewanella oneidensis sowie ein flüssiges Nährmedium zu. Die Kombination aus verschiedenen Materialien und Mikroben funktionierte: „Die Kultivierung von Shewanella oneidensis in den leitfähigen Materialien zeigt, dass die exoelektrogenen Bakterien das Gerüst besiedeln, während andere Bakterien, wie zum Beispiel Escherichia coli nur auf der Oberfläche der Matrix bleiben“, erläutert der Mikrobiologe Professor Johannes Gescher.
Darüber hinaus konnten das Forschungsteam belegen, dass der Elektronenfluss zunahm, je mehr Bakterienzellen die leitfähige, synthetische Matrix besiedelten. Dieser biohybride Verbund blieb mehrere Tage lang stabil und zeigte elektrochemische Aktivität, ein Beleg, dass das Verbundmaterial die von den Bakterien produzierten Elektronen effizient zu einer Elektrode leiten kann.
Neben der Leitfähigkeit benötigt ein solches System auch die Möglichkeit, den Prozess zu steuern. Auch dies gelang im Experiment: Um den Strom abzuschalten, fügten die Forschenden ein Enzym hinzu, das DNA-Stränge zerschneidet, wodurch das Verbundmaterial zerlegt wurde.
„Nach unserer Kenntnis, ist es bisher das erste Mal, dass ein solch komplexes und funktionelles biohybrides Material beschrieben wurde. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass mögliche Anwendungen solcher Materialien sogar über mikrobielle Biosensoren, Bioreaktoren und Brennstoffzellensysteme hinausgehen könnten“, unterstreicht Niemeyer.
Originalpublikation:
Yong Hu, David Rehnlund, Edina Klein, Johannes Gescher, Christof M. Niemeyer: „Cultivation of Exoelectrogenic Bacteria in Conductive DNA Nanocomposite Hydrogels Yields a Programmable Biohybrid Materials System”. ACS Applied Materials & Interfaces, DOI 10.1021/acsami.9b22116
Details zum KIT-Zentrum Materialforschung: http://www.materials.kit.edu/index.php (in englischer Sprache)
Weitere Materialien:
Zur Veröffentlichung in ACS Applied Materials & Interfaces: https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsami.9b22116
Weiterer Kontakt:
Regina Link, Redakteurin/Pressereferentin, Tel.: +49 721 608-21158, E-Mail: regina.link@kit.edu
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 24.400 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.
Diese Presseinformation ist im Internet abrufbar unter: http://www.sek.kit.edu/presse.php
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
Lange angestrebte Messung des exotischen Betazerfalls in Thallium
… hilft bei Zeitskalenbestimmung der Sonnenentstehung. Wie lange hat eigentlich die Bildung unserer Sonne in ihrer stellaren Kinderstube gedauert? Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftler*innen ist einer Antwort nun nähergekommen. Ihnen…
Soft Robotics: Keramik mit Feingefühl
Roboter, die Berührungen spüren und Temperaturunterschiede wahrnehmen? Ein unerwartetes Material macht das möglich. Im Empa-Labor für Hochleistungskeramik entwickeln Forschende weiche und intelligente Sensormaterialien auf der Basis von Keramik-Partikeln. Beim Wort…
Klimawandel bedroht wichtige Planktongruppen im Meer
Erwärmung und Versauerung der Ozeane stören die marinen Ökosysteme. Planktische Foraminiferen sind winzige Meeresorganismen und von zentraler Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane. Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums CEREGE in…