Wie bioökonomisch optimierte Ressourcen- und Energiekreisläufe bei der Produktion nachhaltiger Lebensmittel helfen
Die Verdichtung urbanen Lebens im Zuge des Bevölkerungswachstums und Klimawandels gehört zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommt die weltweit zunehmende Verknappung von Anbauflächen für die Ernährung einer stetig steigenden Weltbevölkerung.
Das prognostizierte Wachstum der Weltbevölkerung lässt sich nach aktuellem Stand weder durch den Fortschritt herkömmlicher Ansätze in der Tier- und Pflanzenzüchtung noch durch eine Effizienzsteigerung in der großflächigen aber herkömmlichen Agrarproduktion kompensieren.
Das ist die Ausgangslage, vor deren Hintergrund die Technische Universität Chemnitz an nachhaltigen Lösungen zur Produktion hochwertiger und gesunder Lebensmittel für künftige Generationen forscht. Ein Lösungsansatz: Insekten.
Insekten als effiziente Nahrungsressource und Reststoffverwerter
Insekten sind größtenteils winzig, aber trotzdem sehr ergiebige Protein- und Fettlieferanten – das macht sie für die Forschung interessant. Warum ist das so? Weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Prof. Dr. Stefan Streif von der Professur Regelungstechnik und Systemdynamik der TU Chemnitz in der Verbindung von Insektenzucht und Pflanzenbau sowie Insekten- und Fischzucht ein künftiges Einsatzfeld bioökonomischer Forschungsergebnisse sehen.
Ein vielversprechender Ansatz für die nachhaltige, biobasierte Nahrungsmittelproduktion ist die intelligente Vernetzung verschiedener agrarischer Systeme. Dazu gehören neben Fischen und Pflanzen auch Pilze und Insekten.
Aktuell entwickelt die TU Chemnitz gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus Wissenschaft und Forschung ein Gesamtsystem mit weitgehend geschlossenen Energie- und Stoffkreisläufen, die durch den Einsatz lernender Regelungsmethoden gesteuert und optimiert werden.
„Aus regelungstechnischer Sicht gilt es darum, die verschiedenen biologischen und technischen Komponenten sowie Stoffströme auf unterschiedlichen Ebenen der biobasierten Produktionssysteme optimal aufeinander abzustimmen und zu vernetzen“, erläutert Streif.
Denn: „Ähnlich zu einem Ökosystem ergänzen sich die Ressourcenkreisläufe von Fischen, Pflanzen, Pilzen und Insekten so gut, dass sie ein nahezu geschlossenes System mit entsprechenden Synergien bilden.“
Zur Schaffung solcher Synergien werden Energie- und Ressourcenbedarfe eines Produktionsmoduls aus Produkt- oder Reststoffen der jeweils anderen Produktionsmodule gedeckt. Regelungsverfahren, die derartig feinabgestimmte Energie- und Ressourcenkopplungen realisieren, greifen auf mathematische Modelle zur Vorhersage des Wachstums und damit des Energie- und Ressourcenbedarfs in den jeweiligen biobasierten Produktionsmodule zurück.
Von der mathematischen Gleichung zum kreislaufbasierten Nahrungsproduktionssystem
An der TU Chemnitz stehen vor allem Insektenlarven der Art „Hermetia illucens“ – schwarze Soldatenfliege – im Forschungsfokus. Hierfür bedienen sich die Forscherinnen und Forscher der theoretischen Modellbildung und Identifikation auf der einen und der Bestätigung bzw. Widerlegung der Modelle durch Experimente auf der anderen Seite. Vereinfacht könnte man sagen: Trial and Error.
Im Rahmen der Modellierung wird das Larvenwachstum zunächst mathematisch beschrieben. Dabei bildet die Bilanzierung des Larvenstoffwechsels den Ausgangspunkt der Modellierung, und führt zu einem Satz von mathematischen Modellgleichungen, die die Mechanismen der Energie- und Ressourcenaufnahme, -umwandlung sowie -abgabe abbilden.
Diese Gleichungen werden in einem zweiten, experimentellen Modellierungsschritt – der sogenannten „Identifikation“ – an die Produktionsbedingungen sowie die jeweilige Spezies angepasst. Dieser experimentelle Teil der Modellierung erlaubt einerseits die Schätzung der spezifischen Parameter für das theoretisch aufgestellte Gleichungsgerüst.
Andererseits erlauben diese Experimente auch eine Bestätigung oder Widerlegung des erstellten theoretischen Modells und liefern dementsprechend auch Aufschluss über notwendige Modellanpassungsschritte.
Insekten-Bioreaktor: Fische und Pflanzen im ressourceneffizienten Kreislaufsystem
Das wichtigste Werkzeug der Forscherinnen und Forscher für diesen experimentellen Teil ist ein eigens konzipierter Bioreaktor im Miniaturformat, in dem die Insekten gezielt aufgezogen werden. Dafür ist der Bioreaktor einerseits mit vielfältigster Sensorik wie Temperatur-, Feuchte-, Kohlendioxid- und Sauerstoff-Sensoren zur Erfassung der metabolischen Larvenaktivität ausgestattet.
Andererseits umfasst die Ausstattung des Bioreaktors ein breites Repertoire an Regelungsmöglichkeiten – sogenannte Aktorik. Dazu gehören Beleuchtungsspektrum, Heizung, Kühlung sowie Be- und Entfeuchtung. Damit ist es den Forscherinnen und Forscher möglich, die Umgebungsbedingungen für die Larven genau zu regeln und somit auch die am Modell ermittelten optimalen Bedingungen einzustellen.
Mit Hilfe der Simulation derartiger Verläufe kann wiederum auf die Bedarfe und Produktion von Energie und Ressourcen zurückgerechnet werden, die insbesondere im Hinblick auf die Kopplung mit anderen Produktionsmodulen von maßgeblicher Bedeutung sind.
Synergetisch und grün produzieren – Aquaponik kann Vorbild sein
Ein prominentes und gut beforschtes Beispiel für eine derartige Kopplung ist die Verknüpfung von Fischzucht und Pflanzenbau – die sogenannte Aquaponik. In Verbindung mit Insekten kann etwa dass durch Larven- und Fischwachstum produzierte Kohlendioxid direkt als „Dünger“ für die Pflanzen verwendet werden, wodurch der CO2-Fußabdruck des Gesamtsystems minimiert wird. Gleichzeitig wird der durch die Pflanzen produzierte Sauerstoff durch Insekten und Fische in ihrem Stoffwechsel verarbeitet. Des Weiteren können Pflanzenreste von Tomaten, Gurken oder Salat nach der Ernte durch die Insekten verwertet und somit im Kreislauf gehalten werden. Die Insektenlarven ihrerseits dienen als proteinreiches Fischfutter oder Ausgangsstoff für Öle und Paraffine. Diese Beispiele zeigen lediglich einen Bruchteil der zu regelnden Kopplung für den Kreislaufschluss von Energie und Ressourcen.
Regelungstechnik und KI beflügeln Bioökonomie
Stellt man sich nun die Gesamtheit der Produktionsmodule mit ihren energetischen und stofflichen Kopplungen vor, wird schnell klar, dass es sich hierbei um ein komplexes System handelt. Einfach ausgedrückt: Selbst wenn der Betrieb der einzelnen Produktionsmodule von den Forscherinnen und Forschern verstanden wurde, heißt das nicht, dass der Zusammenschluss verschiedener Produktionsmodule trivial oder einfach zu verstehen ist. Genau mit der Regelung solch hochkomplexer, stark vernetzter sowie mit Unsicherheiten behafteter Systeme beschäftigt sich das Team der Chemnitzer Professur Regelungstechnik und Systemdynamik. In verschiedenen Forschungsprojekten bringt die Professur ihre Expertise im Bereich der optimierungs- und modellbasierten Regelung und KI ein.
Darüber hinaus erhoffen sich die Forscherinnen und Forscher aus der systemtheoretischen Analyse und Simulation ein tieferes Verständnis für die vielfältigen Interaktionen und Schnittstellen der beteiligten Teilkomponenten des Gesamtsystems. Dieses ganzheitliche Verständnis soll eine Entscheidungsgrundlage für vorrauschauende Regelungsmaßnahmen bilden“, ist sich Streif sicher. Er führt weiter aus, dass erst ein solches vertieftes mathematisches Verständnis den systematischen Entwurf von Regelungen etwa mittels optimierungsbasierten Ansätzen. Hierbei können nicht nur verschiedene und teilweise gegenläufige Kriterien, wie z. B. Energieeffizienz, optimierte Stoffkreisläufe, Lebensmittelqualität, Ressourceneinsatz und Wirtschaftlichkeit, berücksichtig werden. Viel mehr können systematisch auch diverse Anforderungen, wie z. B. Betriebssicherheit, Umweltsicherheit, Modularität und Prozessstabilität, von vor- und nachgelagerten Prozessen in die Betrachtungen einbezogen werden.
Neben der Forschung im Bereich der Agrar- und Lebensmittelwissenschaften stellen auch Algorithmen aus der Regelungstechnik und der Künstlichen Intelligenz somit eine wichtige Grundlage dar, um künftig ressourceneffizient und vor allem energiearm hochwertige Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung zu produzieren.
Hintergrund: Verbundprojekt „CUBES Circle“
Ein aktuelles Verbundprojekt unter Beteiligung der TU Chemnitz zur Erforschung solcher Systeme ist das Projekt „CUBES Circle“, das von der Humboldt-Universität zu Berlin koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) mit etwa acht Millionen Euro gefördert wird. „In diesem Projekt wollen wir verschiedene Produktionsmodule koppeln und so Energie- und Stoffkreisläufe schließen. Wir wollen so möglichst ressourceneffizient produzieren und Abfälle bis auf Zero-Waste-Level reduzieren“, erläutert Prof. Dr. Stefan Streif, Inhaber der Professur Regelungstechnik und Systemdynamik der TU Chemnitz. Weitere Informationen: https://www.cubescircle.de
Prof. Dr. Stefan Streif, Telefon +49 (0)371 531-31899, E-Mail stefan.streif@etit.tu-chemnitz.de
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