IT-Forschung zur Schaffung von Behindertenarbeitsplätzen
Sektion Wirtschaftswissenschaften an der Stiftung Leucorea gegründet
Am 14. Juli 2000 wurde an der Universitätsstiftung Leucorea in der Lutherstadt Wittenberg die Sektion Wirtschaftswissenschaften gegründet. Sie nimmt – neben den bereits bestehenden Sektionen Kultur- und Religionswissenschaften sowie Gesundheits- und Pflegewissenschaften als dritte Sektion ihre Arbeit auf. Ihr Direktor ist Prof. Dipl.-Ing. Dr. rer. oec. Dr. h. c. Wolfgang Lassmann, ab 1. September 2000 Prorektor für Informationstechnologien (IT) und Kommunikationssysteme an der Martin-Luther-Universität.
Das Hauptaugenmerk richten die Mitarbeiter der neuen Sektion auf Fragen der Weiterbildung im Sinne des immer stärker nachgefragten „lebenslangen Lernens“. Diese Notwendigkeit ergibt sich mit dem Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft. Zu den lange bekannten drei Säulen der IT – Daten, Software, Hardware – kommt eine vierte Säule, die (weltweiten) Netze. Hier wiederum geht es vor allem um die IT-Unterstützung von Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte im ersten Arbeitsmarkt der Call-Center-Branche.
Die de facto schon seit anderthalb Jahren existente und effektiv arbeitende Sektion Wirtschaftswissenschaften an der Leucorea in der Lutherstadt Wittenberg erlebte am 14. Juli 2000 ihre offizielle Gründung und reiht sich damit auch de jure in die Einrichtungen dieser 1995 ins Leben gerufenen und von Altrektor Prof. Dr. Dr. Gunnar Berg geleiteten Universitätsstiftung ein. Welche Bedeutung selbst die Landesregierung der Arbeit der Wittenberger Sektionen und Zentren beimisst, zeigte sich darin, dass zur Festveranstaltung nicht nur das Kultusministerium, sondern auch ein Vertreter des Finanzministeriums anwesend war. Die von Prof. Lassmann – der überdies ab September 2000 im Rektorat der Martin-Luther-Universität dem neu geschaffenen Prorektorat für Informationstechnologien und Kommunikationssysteme vorstehen wird – initiierte und unter seiner Leitung stehende Sektion Wirtschaftswissenschaften wird mit den bereits bestehenden Sektionen, besonders mit den Gesundheits- und Pflegewissenschaften und mit dem Zentrum für USA-Studien innerhalb der Sektion Kultur- und Religionswissenschaften, sowie mit den beiden ebenfalls in Wittenberg ansässigen An-Instituten der Martin-Luther-Universität (für Hochschulforschung und für Deutsche Sprache und Kultur) kooperieren.
Teilweise verfolgt die neue Sektion der Leucorea ähnliche Ziele wie das hallesche Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) und das An-Institut für Unternehmensforschung und Unternehmensführung (ifu). Das gilt vor allem im Hinblick auf die zu schaffenden Voraussetzungen für „lebenslanges Lernen“ durch permanente berufliche Weiterbildung (deren Notwendigkeit aus dem „Qualifizierungsdruck“ infolge der Entwicklung neuer Medien erwächst) und auf eine sinnvolle Kooperation mit der regionalen Wirtschaft. Gerade in diesem Kontext werden – darauf wies der Rektor der Martin-Luther-Universität Prof. Dr. Reinhard Kreckel in seiner Begrüßung hin – Überlegungen zur Gebührenpolitik mit dem Ziel der freien Nutzung von Einnahmen eine gewichtige Rolle spielen: Die neue Sektion müsse (im wohlverstandenen Eigeninteresse) die „Lage auf dem Weiterbildungsmarkt explorieren …“ Auch Staatssekretär Dr. Wolfgang Eichler hob in seinem Grußwort Angebot und Nachfrage in Sachen Weiterbildung als wichtiges Marktregulativ hervor; der Leucorea und ihrer neuen Sektion sicherte er „weiterhin wohlwollende Unterstützung der Landesregierung im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten“ zu.
Höhepunkte der Veranstaltung waren der Festvortrag von Prof. Dr. Rüdiger Pohl, dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, über „Die unvollendete Transformation im Osten – Chance und Risiko für die neuen Bundesländer“ und der Fachvortrag zur „IT-Unterstützung für die Beschäftigung von Schwerbehinderten, dargestellt am Beispiel der Call-Center-Branche“. Während Professor Pohl blitzlichtartig die wirtschaftliche Lage im Osten, so wie sie heute ist, unter verschiedenen, teils konträren Aspekten erhellte und am Ende der Hoffnung Ausdruck gab, es möge in zehn Jahren nicht mehr nötig sein, Vorträge über Ostdeutschland zu halten, sondern man werde dann über Deutschland sprechen, informierte Professor Lassmann über ein Hauptziel, das er sich und seinem Team im Rahmen der Wittenberger Sektion Wirtschaftswissenschaften gesetzt hat. Am speziellen Einsatz der Informationstechnologien wird bereits seit über einem Jahr intensiv gearbeitet. Im Ergebnis von Untersuchungen der Diplomanden Thomas Riegel und Michael Schmidt konnten schon am Gründungstag erste Ergebnisse präsentiert werden (vgl. „Konzeption, Implementierung und Einsatz von Database-Marketing [Ein Vorgehensmodell]“ von Thomas Riegel und „Konzeption eines Handicapped Call-Center auf Basis einer integrierten Informationsverarbeitung“ von Michael Schmidt). Sie beruhen auf der Erkenntnis, dass wir uns gegenwärtig an der Schnittstelle zwischen Industrie- und Informationsgesellschaft befinden, indem zu den lange bekannten drei Säulen der IT – Daten, Software, Hardware – eine vierte, die Netze, hinzukommt. Die Netze ermöglichen es, Sammlung, Speicherung und Nutzung des verfügbaren Wissens mittels Kombination von Mensch und Technik auf höherer Stufe durch Wissensproduktion zu ergänzen.
Die Arbeit auf diesem Gebiet wird mehr und mehr in die Call-Center-Branche verlagert werden und damit auf dem ersten Arbeitsmarkt, eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt, zusätzliche Möglichkeiten für Schwerbehinderte erschließen. Behinderte bringen nämlich, das ist durch Umfragen und wissenschaftliche Studien nachgewiesen, insbesondere hinsichtlich der fachlichen und methodischen Kenntnisse sowie der sozialen und persönlichen Kompetenz, vielfach bessere Voraussetzungen für eine solche Tätigkeit mit als ihre nicht behinderten KollegInnen.
Außerdem ist es bei IT-Arbeitsplätzen leichter als in anderen Bereichen, besonderen Anforderungen an deren Ausstattung zu entsprechen: beispielsweise durch Groß- oder Brailleschriftausgaben, durch grafische Benutzeroberflächen, spezielle Tastaturen, Scanner und Drucker für Blinde oder durch eine „Fußmaus“ für Körperbehinderte.
Professor Lassmann erinnerte an den Kybernetiker Norbert Wiener, der schon 1947 prophezeite, man könne die Menschheit mit der neuen Technik nach Belieben in den Himmel oder in die Hölle führen. Diese Erkenntnis müsse auch aller universitären Ausbildung zugrunde liegen, denn die Absolventen werden „nicht für gestern und heute, sondern für morgen und übermorgen ausgebildet“. So gesehen passt die Sektion Wirtschaftswissenschaften mit ihrem sozialen Engagement sehr gut zu Wittenberg mit seiner humanistischen Tradition.
Dr. Margarete Wein
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Lassmann
Tel.: (0345) 552 33 00 / 34 00
Fax: (0345) 552 71 82
E-Mail: LASSMANN@wiwi.Universität-halle.de
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