OECD-Veröffentlichung „Bildung auf einen Blick 2004“
Bildung im internationalen Vergleich
Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, und der erste Vizepräsident der Kultusministerkonferenz, Minister Steffen Reiche, Brandenburg, haben in Berlin die neueste Ausgabe des OECD-Berichts „Bildung auf einen Blick“ („Education at a Glance“) der Presse vorgestellt. In der Veröffentlichung werden anhand einer Vielzahl von Indikatoren die Bildungssysteme der OECD-Staaten sowie einer Reihe von weiteren Staaten dargestellt. Die internationalen Entwicklungen in den Bereichen Bildungsbeteiligung, Bildungsabschlüsse und Bildungsinvestitionen sowie Erwerbstätigkeit und Erwerbseinkommen in Relation zur Bildungsqualifikation werden dabei miteinander verglichen und mit Hilfe zahlreicher Grafiken gekennzeichnet.
Bildungsbeteiligung hoch, jedoch noch ausbaufähig
In den nächsten 10 Jahren werden zwei Entwicklungen zusammentreffen, die das deutsche Bildungssystem – aber auch das vieler anderer Staaten – in Bezug auf die Bildungsbeteiligung vor große Herausforderungen stellen. Einem steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften wird ein Rückgang der jungen Bevölkerung gegenüberstehen. Im Vergleich zum Jahr 2002 wird im Jahr 2012 der Anteil der 5- bis 14-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland um 14 % gesunken sein. Umso wichtiger wird es, möglichst viele Menschen möglichst gut auszubilden.
Im Mittel aller OECD-Staaten haben 68 % der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung mindestens einen Abschluss des Sekundarbereichs II, d.h. entweder Abitur oder eine abgeschlossene berufliche Ausbildung. In Deutschland liegt dieser Anteil mit 83 % erheblich höher. Dies ist eine Folge der langen Tradition der dualen Berufsausbildung. Allerdings ist der Anteil der Personen mit einem Abschluss des Sekundarbereichs II in den letzten Jahrzehnten kaum gestiegen. Hier sind noch Entwicklungspotentiale, die von den Menschen in Deutschland stärker genutzt werden sollten.
Hochschulzugang gestiegen
Im Jahr 1998 nahmen in Deutschland 28 % eines Altersjahrgangs ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule auf. Bis 2002 stieg die Studienanfängerquote auf 35 % (und in dem in Bildung auf einen Blick 2004 noch nicht abgebildeten Jahr 2003 weiter auf 36 %). Zwar ist dies im internationalen Vergleich kein hoher Anteil – der OECD-Durchschnitt liegt bei 51 % – aber der Trend ist positiv: Hier zeigen sich erste Erfolge der vielfältigen Anstrengungen von Schulen, Hochschulen, des Bundes und der Länder, das Interesse an einem Studium zu wecken und das Studienangebot zu modernisieren und zu internationalisieren.
Auch die finanzielle Ausbildungsförderung konnte weiter verstärkt werden: So setzte sich – wie schon in den Vorjahren – auch im Vergleich der Jahre 2002 und 2003 der Anstieg der Anzahl der geförderten Schüler und Studierenden fort. Sie stieg in diesem Zeitraum um 8 % von 467.000 auf 505.000 im Jahresdurchschnitt geförderten Personen, das sind 47 % mehr als noch 1998. Die BAföG-Ausgaben sind seit 1998 um 74 % von 1,2 Mrd. Euro auf 2,1 Mrd. Euro. gestiegen.
Mehr Hochschulabsolventen
Auch der Anteil der Hochschulabsolventen am typischen Altersjahrgang in Deutschland hat sich in den letzten vier Jahren deutlich erhöht. Hatten 1998 erst 16 % eines Altersjahrgangs ein Universitäts- oder Fachhochschulstudium abgeschlossen, waren es im Jahr 2002 bereits 19 %. Allerdings liegt Deutschland damit deutlich unter dem OECD-Mittel von 32 % (1998: 23 %). Auf Grund der sehr positiven Entwicklung bei den Studienanfängern wird auch die Zahl der Hochschulabsolventen in den nächsten Jahren weiter steigen und sich in einer höheren Absolventenquote niederschlagen. Positiv auf diese Entwicklung dürfte sich zudem die steigende Zahl von Studierenden der Bachelor- und Masterstudiengänge auswirken. Die Studienabläufe sind strukturierter, der Erwerb des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses nach bereits drei Jahren eröffnet den Weg in die Berufspraxis mit einem akademischen Abschluss oder aber auch zu einer weiteren akademischen Ausbildung.
Bereiche Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften stellen ein Drittel aller Hochschulabsolventen
Ein Drittel aller Hochschulabsolventen beendet sein Studium in einem Fach mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausrichtung. Deutschland belegt damit bei diesen besonders zukunftsträchtigen Fächern hinter Korea den zweiten Platz und liegt deutlich über dem OECD-Durchschnitt von gut einem Viertel. Hier zeigt sich der Erfolg von Informations- und Imagekampagnen und zahlreichen gemeinsamen Projekten von Schulen und Hochschulen. Durch die Jahre der Wissenschaften – das Jahr 2004 ist z.B. das „Jahr der Technik“ – haben dazu beigetragen, dass die Studienanfängerzahlen im natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereich erheblich gestiegen sind. So sind die Studienanfängerzahlen in den Naturwissenschaften seit 1998 um 72 % und in den Ingenieurwissenschaften um 35 % gestiegen.
Der Frauenanteil in den meisten dieser Fächer hat sich in Deutschland zwischen 1998 und 2002 erhöht, er liegt allerdings weiterhin unter dem OECD-Durchschnitt. Hier besteht in Deutschland also noch weiteres Potential für die Stärkung der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Mit Informations- und Imagekampagnen wie z.B. dem jährlichen „Girls Day“ soll das Interesse vor allem auch von jungen Frauen an diesen Studiengängen weiter gesteigert werden.
Große internationale Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland
In Deutschland ist jeder zehnte Studierende ein Ausländer. (Hiervon hat gut ein Viertel das deutsche Bildungssystem durchlaufen.) Ihr Anteil stieg von 1998 bis 2002 um ein Fünftel von 8 % auf 10 %. Nur Australien, die Schweiz, Österreich und Belgien weisen höhere Anteile an ausländischen Studierenden aus. Dabei sind Natur- oder Ingenieurwissenschaften von besonderer Bedeutung. Deutschland ist für ausländische Studierende dieser Fächergruppen in hohem Maße attraktiv. 17 % aller ausländischen Studierenden in Deutschland sind in ingenieurwissenschaftlichen Fächern eingeschrieben und 15 % haben naturwissenschaftliche Fächer belegt. Deutschland befindet sich somit bei beiden Fächergruppen in der internationalen Spitzengruppe. Insgesamt ist festzuhalten, dass damit die im Jahr 2000 gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen sowie Wissenschaft und Wirtschaft gestartete Initiative „Internationales Marketing für den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland“ Früchte trägt. Durch die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes erhalten jetzt ausländische Studierende die Möglichkeit nach Abschluss ihres Studium in Deutschland zu arbeiten und ihr hier erworbenes Wissen einzusetzen.
Bildungsausgaben variieren nach Bildungsbereichen
Ausgaben für Bildung sind Investitionen in die Zukunft eines Landes. Deshalb sollten Anstrengungen unternommen werden, dies zukünftig auch in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu berücksichtigen, in der sie nach wie vor als Konsumausgaben gelten. Entsprechendes gilt auch für die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, bei denen die internationalen Beratungen hierüber schon weiter fortgeschritten sind.
Den Bildungsausgaben je Schüler/Studierenden ist in allen OECD-Staaten eines gemeinsam: Sie steigen vom Primar- zum Tertiärbereich stark an. In Deutschland betragen die Ausgaben im Primarbereich je Schüler 17 % des BIP pro Kopf und damit etwas mehr als 1995 (16 %). Damit liegt Deutschland unter dem internationalen Durchschnitt von 20 %. Im Sekundarbereich I liegen die Ausgaben im Verhältnis zum BIP pro Kopf bei 21 % (OECD-Mittel 23 %) und im Sekundarbereich II bei 36 % (OECD-Mittel 28 %). Im Tertiärbereich werden in Deutschland je Schüler und Studierenden an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten 41 % des BIP pro Kopf aufgewendet. Im OECD-Durchschnitt beträgt dieser Wert 42 %. Es ist hier jedoch zu berücksichtigen, dass in Deutschland der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung an den Aufwendungen für den Tertiärbereich mit 39 % hoch ist. Lediglich in Schweden ist der Anteil höher. Im Mittel der OECD-Staaten, die hierzu Angaben machen können, beträgt er 27 %.
Höhere Bildung steigert Beschäftigungschancen
Die Erwerbstätigenraten nach Bildungsabschluss zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit erwerbstätig zu sein in der Regel mit der Höhe des Bildungsabschlusses steigt. Im Jahr 2002 war in Deutschland die Erwerbstätigenrate der 25 bis 64-Jährigen mit einem Abschluss einer Hochschule oder Fachschule (Tertiärbereich) mit 84 % um 13 Prozentpunkte höher als die Erwerbstätigenrate von Personen mit einem Abschluss des Dualen Systems oder einer Berufsfachschule (Sekundarstufe II). In Deutschland haben Personen mit Abschlüssen des Tertiärbereichs einen größeren Vorteil gegenüber denen mit Abschlüssen des Sekundarbereich II als in den meisten anderen OECD-Staaten. Im Mittel der OECD betrug der Unterschied 8 Prozentpunkte.
Der Unterschied zwischen den Erwerbstätigenraten der Personengruppe ohne einen Abschluss des Sekundarbereichs II und der Gruppe mit einem entsprechendem Abschluss als höchstem Bildungsabschluss liegt in Deutschland bei 19 Prozentpunkten und damit geringfügig über dem Mittel der OECD-Staaten (18 Prozentpunkte).
Wenig Jugendliche ohne Ausbildung oder Beruf
Die Analyse der OECD betont, wie wichtig es ist, ausreichend Bildungsangebote für junge Menschen bereit zu stellen. So gibt es in Deutschland im internationalen Vergleich wenig Jugendliche, die sich weder in einem Beruf noch in einer Ausbildung befinden. In der Altergruppe der 15- bis 19-Jährigen sind es in Deutschland 4,7 %, während es im OECD-Mittel 7,9 % sind. Auch bei den 20- bis 24-Jährigen und 25- bis 29-Jährigen liegt der Bevölkerungsanteil, der sich weder in Arbeit noch in einer Ausbildung befindet, ein bis zwei Prozentpunkte unter dem OECD-Durchschnitt.
Unterschiedliche Beschäftigungsaussichten für Absolventen des dualen Systems
Der aktuelle Band von Bildung auf einen Blick widmet sich in einem gesonderten Abschnitt speziell den Arbeitsmarktchancen von Personen mit einer dualen Ausbildung. Von den im Jahr 2002 in Deutschland insgesamt 22,8 Mio. Personen zwischen 25 und 64 Jahren mit einem berufsqualifizierenden Abschluss des Sekundarbereichs II als höchstem Bildungsabschluss ist die bei weitem überwiegende Mehrheit im dualen System der beruflichen Bildung ausgebildet worden (21,5 Mio.). Berufsfachschulabschlüsse spielen bislang eine nicht so große Rolle (1,2 Mio.). Ihre Bedeutung ist jedoch in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Bei den Erwerbslosenraten der beiden Personengruppen bestehen deutliche Unterschiede. Sie ist bei den Absolventen des dualen Systems höher als bei den Absolventen der Berufsfachschulen. Besonders augenfällig ist der Unterschied in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen. Die Erwerbslosenrate beträgt bei den Absolventen des dualen Systems in dieser Altersgruppe 10 %, bei denen der Berufsfachschulen 7 %.
Bei einer detaillierteren Betrachtung von 20- bis 24-Jährigen Absolventen des dualen Systems nach Berufsgruppen wird aber auch deutlich, dass die Differenzen zwischen den einzelnen Berufsgruppen innerhalb des dualen Systems beträchtlich sind. So ist beispielsweise im Bereich der Büroberufe und kaufmännischen Angestellten eine relativ niedrige Erwerbslosigkeit (ca. 6 %) gegeben. Dagegen sind in der Berufsgruppe der Ausbauberufe auffällig viele junge Menschen erwerbslos (18 %). Hier liegt die Erwerbslosigkeit auch deutlich über jener der 25- bis 64-Jährigen.
Das Berufsbildungsreformgesetzes ist auf den Weg gebracht und damit die Berufsausbildung mit den Anforderungen der Betriebe Schritt hält, wird die Modernisierung der Ausbildungsberufe von der Bundesregierung vorangetrieben. Mit mehr als 160 neuen und neu geordneten Ausbildungsberufen seit dem Jahr 1998 sind inzwischen Ausbildungsberufe aller großen Wirtschaftsbereiche modernisiert worden. Mehr als 50 % der Auszubildenden wird in einem dieser Berufe ausgebildet. Die Kultusministerkonferenz beteiligt sich an dem Modernisierungsprozess durch die Erarbeitung oder Aktualisierung von passgenauen Rahmenlehrplänen für die Berufsschulen.
International sehr differierende Anzahl von Unterrichtsstunden und Klassengrößen
Im Durchschnitt der OECD-Staaten haben 7- bis 8-jährige Schüler 752 Stunden Unterricht im Jahr. Die Schwankungen sind immens: Die wenigsten Stunden im Klassenverband werden in Finnland (530), die meisten in Schottland (1.000) gegeben; Deutschland liegt mit 626 Stunden im unteren Drittel. Bei den späteren Schuljahren legt Deutschland zu und nähert sich dem Mittelwert. Es erreicht bei den 15-Jährigen 899 Unterrichtsstunden im Jahr bei einem OECD-Mittelwert von 923 Stunden.
Das Ergebnis von Finnland (und anderen Staaten mit guten PISA-Ergebnissen) zeigt indes, dass die Zahl der Unterrichtstunden allein wenig über die Qualität der schulischen Ausbildung aussagt. Für einen nachhaltigen Lernerfolg ebenso bedeutsam ist eine Unterrichtsstruktur, die den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Schülers bzw. der einzelnen Schülerin gerecht wird. Zur Sicherung der Qualität schulischer Bildung hat die Kultusministerkonferenz länderübergreifende Bildungsstandards vereinbart, deren Überprüfung in den Ländern durch diagnostische Tests, Vergleichsarbeiten und Prüfungen mit zentralen Anteilen sichergestellt wird. Darüber hinaus werden Elemente der Selbstevaluation der Schulen und des Unterrichts sowie der externen Evaluation durch von den Ländern dafür eigens gegründete Institute verstärkt ausgebaut und durch Schulvisitationen und Qualitätsgespräche unterstützt.
Höhere Erwartungen an ihren Beruf bei Mädchen als bei Jungen
Frauen haben ihren Rückstand in vielen Bildungsbereichen aufgeholt und in den meisten OECD-Staaten die Männer überholt. Nun geben häufig die schwachen Leistungen der männlichen Bevölkerung in bestimmten Bereichen wie beispielsweise dem Lesen Anlass zur Besorgnis. Um ausgewogene Lernerfolge zwischen den Geschlechtern zu erreichen, muss genau auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Leistungen, den Einstellungen zum Lernen und den Lernstrategien der Schülerinnen und Schüler geachtet werden. Die Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler über die für sie erreichbaren Berufe können sich auf ihre Bildungsentscheidungen und schulischen Leistungen auswirken. Die PISA-Studie untersuchte, in welchen Berufen sich die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler im Alter von 30 Jahren sehen, um festzustellen, mit welchen Bestrebungen und Hoffnungen sie ihre eigene Zukunft angehen. Es zeigt sich, dass in 40 von 42 Staaten (darunter Deutschland) die Mädchen höhere Erwartungen an ihre zukünftigen Berufe haben als die Jungen. Diese Zukunftserwartungen werden sich wahrscheinlich auf ihr schulisches Engagement und damit auch auf ihre Leistungen auswirken.
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