Bundesweite Evaluation zeigt: Sozialer Brennpunkt bedeutet nicht automatisch schlechte Schule
„Wer in einem schwierigen Viertel wohnt, besucht auch eine schlechte Schule“ – dieses Vorurteil kann durch die Ergebnisse einer Evaluation, die in großem Umfang die Schulentwicklungskonzepte von Schulen aus ganz Deutschland ausgewertet hat, entkräftet werden. Ein zentrales Ergebnis: Schulen sind gerade unter schwierigen Bedingungen erfolgreich.
Woran lässt sich der Erfolg einer Schule messen? Letztlich kann nur die Befähigung ihrer Schülerinnen und Schüler für ein selbstbestimmtes Leben ausschlaggebend sein. Als Kriterien für eine erfolgreiche Schule nennen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Isabell van Ackeren an den Universitäten Duisburg-Essen und Mainz folgende:
Sie bereitet ihre Schülerinnen und Schüler angemessen auf das Leben vor, baut ihre persönlichen, sozialen und fachlichen Kompetenzen aus und bietet ihnen nicht nur Abschluss-, sondern auch Anschlussmöglichkeiten. Diese Aspekte sind auch beim Wettbewerb „Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung entscheidend.
Aus rund 700 Wettbewerbsteilnehmern rekrutieren sich die Schulen, die die Datengrundlage für die Erhebung bilden. Gerade die im Wettbewerb erfolgreichen Schulen senden ein deutliches Signal: Schwierige Rahmenbedingungen sind kein Qualitätsmakel: Knapp 40 % der im Wettbewerb für ihre hervorragenden Konzepte ausgezeichneten Schulen ordnen sich „voll und ganz“ einem sozialen Brennpunkt zu. Etwa ein Drittel der Siegerschulen liegt in einer Stadt oder einem Kreis, in dem die Arbeitslosenquote der 15- bis 25-Jährigen bei über 10 % liegt.
Macht Not erfinderisch und erfolgreich?
Schulen, die unter schwierigen Bedingungen agieren, müssen diese durch ein besonders engagiertes Kollegium wettmachen – und tun dies vielfach auch gekonnt. Die Basis hierfür bilden strukturierte Konzepte zur Qualitätsentwicklung. Dazu zählen interne und externe Evaluationsverfahren genauso wie Fortbildungen, Feedbackstrukturen und Steuergruppen zur Koordination der Qualitätsentwicklungsmaßnahmen.
Dr. Antje Becker, Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung: „Die Evaluation zeigt deutlich: Erfolgreiche Schulen machen mehr als nur Unterricht. Sie verstehen sich vielmehr als Lern- und Lebensorte, die sich ihren jeweiligen Rahmenbedingungen kreativ anpassen. Auffällig ist, dass sie bewusst auf innovative Konzepte zur Weiterentwicklung von Schule und Unterricht setzen – etwa durch gegenseitige Hospitationen und Teamteaching.“
Konkrete Maßnahmen am Lern- und Lebensort Schule
Die im Wettbewerb erfolgreichen Schulen setzen mehrheitlich auf ein Bündel verschiedener Maßnahmen. Fast alle untersuchten Schulen fördern ihre Schülerinnen und Schüler individuell: Zwei Drittel der Schulen berichten beispielsweise, im Unterricht verstärkt individualisierte Lernformen und Binnendifferenzierung einzusetzen. So können sie der Herausforderung „Inklusion“ und der Heterogenität ihrer Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Hinzu kommen Maßnahmen zur Netzwerkbildung.
Diese umfassen nicht nur ein ausdifferenziertes und verlässliches Netzwerk unterschiedlicher regionaler Partner, wie Unternehmen, Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter sowie Berufsschulen und Hochschulen, sondern auch die verstärkte Einbindung der Eltern. Gerade die im Wettbewerb erfolgreichen Schulen betreiben überdurchschnittlich häufig Angebote zur Elternbildung. Zudem ist die Kooperation mit außerschulischen Partnern ein wesentlicher Teil der gelingenden Berufsorientierung, die gute Schulen ebenfalls charakterisiert. Die Schulen gestalten den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben als mehrjährigen, kontinuierlichen, fächerübergreifenden und stufenförmigen Prozess.
Jürgen Walther, Schulleiter an der Mittelschule an der Wiesentfelser Straße, München, die 2013 den 1. Platz bei „Starke Schule“ errang, erläutert: „Unser Ziel ist: Für alle Schüler und Schülerinnen einen Abschluss! Die Hälfte unserer Schüler haben zunächst schlechte Deutschkenntnisse und viele beherrschen eingangs die Grundrechenarten nur rudimentär. Wir setzen auf ein ausgefeiltes Unterrichtskonzept, die aktive Einbindung aller in das Schulleben sowie intensive Elternarbeit und ein dichtes Netzwerk von externen Partnern. Und der Erfolg gibt uns Recht: 100 % der Schüler machen ihren Hauptschulabschluss, 52,5 % von ihnen nehmen eine Lehre auf und 22,5 % gehen zu einer weiterführenden Schule.“
Als eine der größten weltanschaulich unabhängigen und unternehmerisch ungebundenen Stiftungen in Deutschland verfügt die Hertie-Stiftung über ein Anlagevolumen von mehr als 959 Millionen Euro (per 31.12.2013), dessen Erträge dem Allgemeinwohl gewidmet sind. Dem Willen ihres Stifters Georg Karg folgend, orientiert sich die Hertie-Stiftung an den Lebenssituationen der Menschen und den Herausforderungen der zukünftigen Gesellschaft in den Arbeitsgebieten Vorschule und Schule, Hochschule, Neurowissenschaften und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
„Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ wurde 1999, damals unter dem Namen „Hauptschulpreis“, von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung in Leben gerufen. Im Rahmen des mittlerweile größten Schulwettbewerbs Deutschlands werden alle zwei Jahre allgemein bildende Schulen ausgezeichnet, die sich in herausragender Weise für ihre Schüler einsetzen und diese ausbildungsreif machen. Die Siegerschulen, die unter Berücksichtigung von empirisch fundierten Merkmalen „guter“ Schulen bestimmt werden, profitieren durch ein länderübergreifendes Netzwerk mit umfangreichen Fortbildungsangeboten.
Für „Starke Schule“ sind die Gemeinnützige Hertie-Stiftung, die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und die Deutsche Bank Stiftung aktiv und engagieren sich gemeinsam mit den Kultusministerien. Das Programm wird seit 2008 von den Universitäten Duisburg-Essen (Arbeitsgruppe Bildungsforschung) und Mainz (Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung) wissenschaftlich begleitet.
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