2,6 Millionen EU-Mittel für die Erforschung von grundlegenden Wechselwirkungen in Magneten
Wie die kleinsten Bausteine der Materie miteinander wechselwirken – das erforscht der Physiker Christian Rüegg, Laborleiter am Paul Scherrer Institut PSI und Professor an der Universität Genf. Rüegg ist Experte auf dem Forschungsgebiet des Quantenmagnetismus.
Das bedeutet: Er befasst sich mit Magneten, deren Eigenschaften von der Quantenmechanik bestimmt werden. Was für Laien exotisch klingt, ist zugleich für die Wissenschaft von fundamentaler Bedeutung. So bedeutend, dass Rüegg nun eine hoch angesehene Forschungsförderung erhält: den ERC Consolidator Grant, vergeben durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) der Europäischen Union.
Damit erhält Rüegg über eine Dauer von fünf Jahren insgesamt 2,4 Millionen Euro – umgerechnet rund 2,6 Millionen Schweizer Franken. Der Vertrag zur Förderung wurde am 3. Oktober unterzeichnet. Die Förderperiode beginnt am 1. Dezember 2016. Das Geld darf für neue Forschungsinstrumente und für wissenschaftliche Mitarbeiter eingesetzt werden.
Die Wechselwirkungen zwischen magnetischen Atomen und die daraus hervorgehenden Quanteneffekte in Magneten, die Rüegg in seinen Experimenten erforscht, sind von grossem theoretischen und praktischen Interesse: „Wir werden dieses Wissen benötigen, um funktionierende Quantencomputer bauen zu können“, erklärt Rüegg.
Quantencomputer könnten eines Tages die heutige Computertechnologie ablösen. Sie würden die Gesetze der Quantenmechanik ausnutzen, würden dadurch ganz neue Ansätze für Berechnungen, Suchanfragen und Datenspeicherung erlauben und wären somit in vielerlei Hinsicht deutlich effizienter als bisherige Computer.
Wechselwirkungen und Quanteneffekte auf grundlegender Ebene untersuchen
Während manche Physiker die Grundbausteine des Universums erforschen – also Elementarteilchen wie Atome, Elektronen oder Quarks – interessiert sich Christian Rüegg für die fundamentalen Wechselwirkungen zwischen diesen Bausteinen; denn auch sie sind entscheidend für die beobachtbaren elektrischen und magnetischen Eigenschaften der Materie. Auf dieser grundlegenden Ebene spielen die Effekte der Quantenmechanik eine wichtige Rolle.
Die Fragen, denen Rüegg nachgeht, lauten beispielsweise: Welche Zustände können die magnetischen Bausteine der Materie – magnetische Atome – einnehmen? Wie ändern sich die Wechselwirkungen zwischen ihnen, wenn sich die Bedingungen ändern; wenn also beispielsweise die Temperatur fällt, der Druck steigt oder ein Magnetfeld von aussen einwirkt? Wie kann man diese Zustände und Wechselwirkungen kontrollieren und in Zukunft ausnutzen?
Rüegg erforscht diese Zusammenhänge mithilfe ausgefeilter Experimente, die er unter anderem an der Neutronenquelle SINQ am PSI durchführt. Im Labor kann er Zustände und Wechselwirkungen direkt auf der Ebene der Atome untersuchen – also auf der Stufe der kleinsten Einheiten der Materie.
Die nun zugesagten Finanzmittel der ERC-Förderung wird Rüegg unter anderem nutzen, um ein neues Magnetsystem aufzubauen, das extrem starke Magnetfelder und Drücke bei Temperaturen nahe beim absoluten Nullpunkt erzeugen kann. Zudem wird er eine Handvoll Nachwuchsforscher einstellen, die sein bisheriges Forschungsteam am PSI ergänzen werden.
Seit 2011 ist Rüegg – wieder – am Paul Scherrer Institut PSI, wo er Forscher sowie Leiter des Labors für Neutronenstreuung und Imaging ist. Ebenfalls seit 2011 unterrichtet er als Professor an der Universität Genf. Damit kehrte der gebürtige Aargauer, der einst die Alte Kantonsschule in Aarau besuchte, zurück in seine Heimat. Bis 2011 hatte Rüegg sechs Jahre als Postdoktorand und Assistenzprofessor am London Centre for Nanotechnology des University und Imperial College London verbracht und davor wiederum am PSI und an der ETH Zürich promoviert – bereits damals im Neutronenlabor, dem er jetzt vorsteht.
Schon vor seinem jetzigen ERC Consolidator Grant hat Rüegg einige namhafte Wissenschaftspreise für seine Arbeiten über Quantenmagnetismus erhalten; darunter den Lewy-Bertaut Prize, den Nicholas Kurti European Science Prize, ein Fellowship der Royal Society in Grossbritannien und den ABB-Preis der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft.
„Hier am PSI steht mir eine einzigartige Kombination von Forschungsanlagen und Knowhow zur Verfügung“, sagt Rüegg über seine Rückkehr ans PSI. Vor allem die Neutronenquelle SINQ und der zukünftige Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL sind für Rüeggs Forschung und für seine zukünftigen Projekte am PSI wichtig. Ebenso essentiell sind aber auch die Experten, die das PSI an all diesen Forschungsanlagen in vielen verschiedenen Wissenschaftsbereichen hat. „Wissenschaft ist immer auch Teamarbeit, besonders wenn sehr komplexe und neuartige Instrumente benutzt werden“, sagt Rüegg.
Experimente an massgeschneiderten Kristallen
Konkret untersucht Rüegg die Zustände und elementaren Wechselwirkungen von magnetischen Atomen in bestimmten Kristallen aus ungewöhnlichen chemischen Verbindungen. Diese sind so massgeschneidert, dass in dem Kristallgitter jeweils zwei magnetische Atome besonders dicht beieinander liegen und daher besonders stark miteinander wechselwirken. „Diese zwei magnetischen Atome und ihre Wechselwirkungen – das ist eine Grundeinheit eines Quantensystems, die wir recht gut experimentell erforschen können“, erklärt Rüegg. „Wir untersuchen sie stellvertretend für Quantensysteme aller Art und kombinieren sie zu komplexeren Strukturen, sogenannte Vielteilchen-Quantensystemen.“
Rüeggs Kristalle werden zum Teil direkt am PSI oder an der Universität Bern hergestellt. Sie sind bis zu einem Kubikzentimeter gross, denn die einzelnen Signale, die Rüegg erwartet, sind sehr schwach. Nur durch die Summe von enorm vielen Atompaaren in einem Kristall wird das Signal so stark, dass es sich mit einem Spektrometer messen lässt. Aus demselben Grund sind auch eine leistungsstarke Neutronenquelle und hochpräzise Instrumente essentiell für Rüeggs Experimente. An der SINQ stehen ihm diese am PSI zur Verfügung. „Mit Neutronen können wir umfassende Informationen über diese magnetischen Quantensysteme bekommen und damit über die Wechselwirkungen auf atomarer Ebene. Diese Informationen sind sehr wichtig, um solche Systeme besser beschreiben, verstehen und womöglich für Anwendungen optimieren zu können“, so Rüegg.
Am zukünftigen SwissFEL auch die zeitliche Dynamik von Quantensystemen erforschen
Und noch eine bedeutende Erweiterung seiner Methoden plant Rüegg mit den ERC-Mitteln: zeitabhängige Messungen. Diese sollen mit Röntgenstrahlung möglich werden und am PSI an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS sowie am zukünftigen Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL durchgeführt werden. Statt wie bisher Schnappschüsse der Physik in stabilen Zuständen soll so zum ersten Mal eine Art Film der Quantensysteme und ihrer zeitlichen Entwicklung möglich werden.
Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2000 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 370 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
Kontakt/Ansprechpartner
Prof. Dr. Christian Rüegg
Labor für Neutronenstreuung,
Paul Scherrer Institut und Département de Physique de la Matière Condensée, Université de Genève
Telefon: +41 56 310 47 78, E-Mail: christian.rueegg@psi.ch
http://psi.ch/JYxm „Quantenphysikalisch geschmolzen“ – Populärwissenschaftlicher Text zu Christian Rüeggs Forschung
https://erc.europa.eu/consolidator-grants/german Informationen zum ERC Consolidator Grant auf der Webseite des Europäischen Forschungsrats
http://psi.ch/t5m7 Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI
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