Träger des Braunschweig Preises: Revolution in der Elektronik. Wenn Kunststoffe leiten

100 000 Mark für nachhaltige, anwendungsorientierte Forschung

Sie sind direkte Nachbarn im Periodensystem der Elemente – und doch verlief zwischen ihnen bislang so etwas wie der „Eiserne Vorhang“ der Chemie und der Physik: Kohlenstoff und Silizium. Hüben die Welt der organischen (Kohlenstoff-)Verbindungen, drüben das anorganische Imperium der Halbleiter und Metalle. Wir Menschen als Geschöpfe, die doch aus Kohlenstoff aufgebaut sind, haben immerhin einige Meisterschaft darin erreicht, Siliziumkristalle für die mikroelektronischen Schaltungen unserer Computer zu nutzen. Doch seit kurzem herrscht Aufruhr im Reich der Elemente: Bahnbrechende Forschungsergebnisse zeigen, dass auch organische Materialien – zum Beispiel preiswerte Kunststoffe – die Eigenschaften von Halbleitern, Lasern und sogar Supraleitern annehmen können.

Für solche Entwicklungen, die einmal zu preiswerten Monitoren „zum Aufrollen“, intelligenten Etiketten, zu neuartigen Lasern, einfachen und kostengünstigen Solarzellen oder zur Entwicklung des Quantencomputers führen könnten, hat das Forscherteam um Professor Dr. Bertram Batlogg in diesem Jahr den mit 100 000 Mark dotierten Braunschweig Preis zugesprochen bekommen. Der höchstdotierte Forschungspreis einer deutschen Stadt wird im Rahmen des 2. Braunschweiger Kongresses Lebenswelten für Morgen
am 8. und 9. Oktober 2001 (Infos siehe Pressemitteilung) überreicht.

Für Braunschweig, die zweitgrößte Stadt Niedersachsens, spielt Forschung eine entscheidende Rolle – hier sind nicht weniger als 20 Forschungsinstitutionen angesiedelt, darunter allein sechs Großforschungseinrichtungen des Bundes. Cluster der Verkehrsforschung und der Biotechnologie strahlen weit über die regionalen und nationalen Grenzen aus. Es lag nahe, dass Stadt und Technische Universität Braunschweig die Initiative für Forschung ins Leben riefen.

Die diesjährigen Träger des Braunschweig Preises, Bertram Batlogg, Christian Kloc und Hendrik Schön begannen ihre Untersuchungen über Halbleiter aus Kunststoffen in den USA an den Bell-Laboratorien in Murray Hill/New Jersey, in jenem „Olymp der Physik“, in dem 1947 der Transistor erfunden wurde. Von September 2000 an setzte Batlogg seine Forschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich/Schweiz fort, wobei er weiterhin eng mit seinen Kollegen bei Bell Labs zusammenarbeitet. Der Braunschweig Preis zeichnet ausdrücklich die anwendungsorientierte Forschung für nachhaltige Entwicklung aus.

Dass diese mit der Revolution einer neuen Kunststoff-Elektronik angestoßen wird, stand für die Jury fest. Ihr gehören u.a. Prof. Dr. Karl Joachim Ebeling (Leiter der Corporate Research Infineon Technologies AG), Dr. Ferdinand Piech (Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG), Fritz Brickwedde (Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt) und Prof. Dr. Hans-Jürgen Warnecke (Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft) an.

„Es geht nicht darum, die herkömmliche Elektronik zu ersetzen“, sagt Bertram Batlogg. Es gehe darum, sie zu ergänzen. Wie sich das auswirken kann, ist noch gar nicht abzuschätzen. Die preiswerte Elektronik mit organischen Materialien wird ganz neue Vertriebswege, Medien und Dienstleistungen erschaffen. Der Phantasie sind hierbei kaum Grenzen gesetzt. Wichtig ist dabei, dass die Ausgangsmaterialien flexibel für die jeweilige Anwendung „zugeschnitten“ und nach Gebrauch wieder leicht recycled werden können.

Um dorthin zu gelangen, haben Batlogg und sein Team organische Materialien wie Tetracen oder Pentacen mit elektrischen Ladungen „geimpft“ – ähnlich, wie auch anorganische Halbleiter durch Dotierung („Verunreinigung“ mit Fremdatomen) aktiviert werden. Im Resultat führen wandernde und zugepumpte Elektronen sowie entstehende (oder ebenfalls zugeführte) Elektronen-„Löcher“ zur Leitfähigkeit, die je nach Temperatur sogar metallisch ausfallen kann. Und Prof. Batlogg und seinen Kollegen gelang es darüber hinaus, den ersten Supraleiter aus Plastik herzustellen.

Aber damit nicht genug: Die Forscher stießen jetzt auf Kunststoffe, die sogar eine Karriere als Hochtemperatursupraleiter machen könnten. Normalerweise stellt sich die Supraleitfähigkeit erst in der Nähe des absoluten Temperatur-Nullpunktes (-273,16 Grad Celsius oder Null Kelvin) ein. Um solche Temperaturen herzustellen, sind erhebliche und teure Aufwendungen nötig. Auch die Realisierung des Quantencomputers, der Elektronik mit einzelnen Elektronen bewerkstelligen soll, wird dereinst an dieser Frage entschieden werden.

Da lässt es aufhorchen, dass die Preisträger des Braunschweig Preises Supraleitung bei „Rekordtemperaturen“ von 110 Kelvin (-163,16 Grad Celsius) erreichten. Sie schafften dieses in Fullerenen, den an Fußbälle erinnernden Molekülen aus sehr vielen kompakt vernetzten Kohlenstoffatomen. Oberhalb des Siedepunktes von Stickstoff verbilligt sich die Kühlung der Materialien um ein Vielfaches. Und so kann es gut sein, dass die mikroelektronischen Schaltungen der Zukunft diesmal im „organischen Sektor“ des Reiches der Elemente angesiedelt sind.

Media Contact

Ulrike Rolf idw

Weitere Informationen:

http://www.braunschweigpreis.de/

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