Kooperationspreis Wissenschaft/Wirtschaft 2001/02
Am Freitag, 11. Januar 2002, wird an der die Universität Ulm der Kooperationspreis Wissenschaft/Wirtschaft verliehen. Er geht diesmal an drei verschiedene Projekte, bei denen die Universitätsabteilungen Virologie (Prof. Dr. Frank Kirchhoff), Theoretische Informatik (Leiter Prof. Dr. Uwe Schöning) und Psychiatrie III (Leiter Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer) überdurchschnittlich erfolgreich mit industriellen Partnern zusammengearbeitet haben.
Aktiv gegen AIDS
Noch immer fahnden die Virologen nach einem Impfstoff gegen die Immunschwäche AIDS. Dabei verfügt jeder Mensch im Blut über ein Reservoir an Hemmstoffen, die den Erreger, das Human Immunedeficiency Virus (HIV), blockieren. Doch um sie zu bestimmen, müßte man sämtliche Proteine und Proteinbausteine analysieren. – Im Labor der IPF Pharmaceuticals GmbH in Hannover geht das. Deren Experten analysieren Hämofiltrat, das Abfallprodukt der Blutdialyse. Zu diesem Zweck haben sie vor nicht langer Zeit die Chromatographie, das einschlägige Standard-Untersuchungsverfahren, massentauglich gemacht und sind nun in der Lage, Peptid- und Protein-Verbindungen aus mehreren tausend Litern Hämofiltrat zu isolieren. Nebenprodukt dieser Superleistung: eine weltweit einzigartige Blutpeptidbank mit mehr als 300 Fraktionen, jede davon im Durchschnitt für rund 1.000 potentiell antiviral wirkende bioaktive Verbindungen gut.
Vor einigen Jahren kamen Prof. Dr. Frank Kirchhoff und sein Mitarbeiter Jan Münch in der Abteilung Virologie der Universität Ulm auf den Gedanken, diese Peptidbank systematisch nach neuen HIV-Hemmstoffen zu durchforsten. Sie verfeinerten die Basistechnik, so daß sie die antiviralen Verbindungen nicht nur erkennen, sondern auch in ihrer Zusammensetzung und genetischen Konstellation genau beschreiben konnten – mit dem Fernziel, die therapeutisch interessantesten Verbindungen gezielt weiterzubearbeiten. Die Ulmer Strategie, ihrerseits ebenso einzigartig wie die Blutpeptidbank, hat ihre Qualitäten bereits eindrucksvoll bewiesen, nämlich mit der Erstbeschreibung, Analyse und therapeutischen Optimierung zweier HIV-Inhibitoren, des Virus Inhibitory Peptide (VIRIP) und des Hämofiltrat-CC-Chemokin-1. VIRIP bindet an das Hüllprotein des HIV-Virus und verhindert so dessen Verschmelzung mit der Membran der Zelle. Seine Spezialität: es wirkt auch gegen HIVC-1-Varianten, die gegenüber anderen bekannten Hemmstoffen resistent sind. Mit dem CC-Chemokin sind Kirchhoff und Münch auf dem Wege zum neuen AIDS-Medikament. Durch Einbau wasserabweisender Gruppen gelang es ihnen, seine Hemmwirkung zu verstärken. Mit ihrer Strategie gedenken die Preisträger demnächst auch Hemmstoffen gegen andere humanpathogene Viren wie Herpes Simplex, Influenza- und Coxsackie-Viren auf die Spur zu kommen. Um ihre Chancen zu optimieren, hat die IPF-Pharmaceuticals GmbH inzwischen auch Peptidbanken zur Verfügung gestellt, die aus Thymus, Plazenta und Sperma gewonnen wurden.
Herausforderung aus dem Nähkästchen
Das Problem hat nur scheinbar Anklänge an Omas Nähkästchen: »Wie bringe ich möglichst viele Garnspulen unterschiedlichen Durchmessers auf einer rechteckigen Palette unter?« Die Informatiker der AUTEFA automation GmbH in Friedberg, beauftragt, ein vollautomatisches Fließbandsystem und eine Verpackungsanlage für Industrie-Garnspulen zu entwerfen, sahen sich mit einem NP-vollständigen Problem konfrontiert. NP-vollständige Probleme sind das, was der Laie schlicht »unlösbar« nennen würde. Solche Probleme sind Sache der Experten in der Abteilung Theoretische Informatik der Universität Ulm. Deren Chef Prof. Dr. Uwe Schöning, sein C3-Professor Dr. Jacobo Torán, Privatdozent Dr. Thomas Thierauf und Uwe Bubeck nahmen sich der Aufgabe an, deren Bewältigung für die Wissenschaft einen großen Erfolg, für einschlägige Firmen einen Weg zu erheblichen Kosteneinsparungen markieren würde.
Über die Frage, wie möglichst viele kreisförmige Objekte gleicher Größe auf einer gegebenen quadratischen Fläche unterzubringen seien, hatten sich schon zahlreiche Autoren Gedanken gemacht. Aber die Spulen des AUTEFA-Problems waren nicht nur unterschiedlich groß – man kannte vorab nicht einmal sämtliche auftretenden Durchmesser. Schönings Algorithmen zufolge schien eine Verpackungsdichte von 65% der Palette das Äußerste des Machbaren zu sein. Schließlich gelang es aber, die Paletten regelmäßig zu 75% zu füllen. In der endgültigen Version des Verfahrens werden die kreisförmigen Objekte in einer Computersimulation abwechselnd virtuell geschüttelt und komprimiert. Wie das genau funktioniert, wollen die Preisträger der Fachwelt demnächst in einer Spezialpublikation erklären.
Beim Autofahren wenig denken
Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist eine komplexe geistige Leistung. Seit etwa drei Jahren arbeiten Neurowissenschaftler, Ingenieure und Psychologen der Universität Ulm mit einer Arbeitsgruppe des Unternehmens DaimlerChrysler im Rahmen des firmeneigenen Forschungsprojekts Driver-Mind-Lab zusammen. Ziel ist es, das Mensch-Maschine-Interface, die Schnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug, durch Methoden der Gehirnforschung zu charakterisieren und zu verbessern. Die Idee, das Autofahren neurowissenschaftlich zu analysieren, ist nicht neu. Mit dem Aufkommen der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) wurde es vor etwa 10 Jahren möglich, dem Gehirn gewissermaßen direkt bei der Arbeit zuzuschauen. Mit geeigneter Software zur Fahrsimulation, einer modifizierten Virtual-reality-Brille und ebenfalls modifizierter Steuerungshardware im Scanner lassen sich Bedingungen schaffen, die dem tatsächlichen Autofahren ähneln. Kombiniert man diese Anordnung nun mit den hochverfeinerten Methoden der Bildgebung, so verfügt man in Gestalt des multimodalen funktionellen Neuroimaging über ein Verfahren, alles zu verfolgen, was beim Autofahren im Gehirn geschieht.
In ihrer ersten Studie verwendeten Spitzer und Mitarbeiter ein kommerziell erhältliches Simulationsprogramm, um gesunden Versuchspersonen im MR-Tomographen das Fahren vorzuspiegeln. Die insgesamt 12 Probanden hatten die Aufgabe, einen Rundkurs durch Hamburg so schnell und so unfallfrei wie möglich abzufahren. Als Kontrollbedingungen dienten die Gehirnaktivität in Ruhe, beim bloßen Bewegen des Steuers und beim bloßen Zuschauen, also quasi in der Rolle des Beifahrers. Die Ergebnisse zeigten zunächst beim Vergleich des Autofahrens gegen Ruhe die Aktivierung erwarteter Areale der Gehirnrinde, die für Wahrnehmen, räumliches Denken sowie die Planung und Ausführung von Bewegungen zuständig sind. Der Vergleich der Aktivierungsbilder »Fahrer« versus »Beifahrer« lieferte jedoch eine Überraschung: Beim Fahren ist unser Gehirn deutlich weniger aktiviert als beim Beifahren. Eine mögliche Erklärung: wer fährt, konzentriert sich auf nur eine Sache, der Beifahrer hingegen kann zusätzlich vieles andere denken und tun.
Angewendet auf die Verkehrspsychologie, laufen die Ulmer Befunde grundlegenden bisherigen Prinzipien entgegen. So ging man – nicht zuletzt in der Rechtsprechung im Hinblick auf die Benutzung von Mobiltelefonen im Fahrzeug – von einem Modell der »begrenzten kognitiven Ressourcen« aus. Demnach steht uns für das Autofahren eine begrenzte Menge neuronaler Rechenleistung zur Verfügung. Wird diese durch eine zusätzliche Aktivität mit in Beschlag genommen, bleibt weniger Kapazität für das Fahren, was sich in einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit niederschlägt. Läßt sich dieses Argument aufrechterhalten, wenn das Fahren gar nicht notwendig mit einer vermehrten kortikalen Aktivierung, das heißt mit einem vermehrten Verbrauch von zentralnervöser Rechenleistung einhergeht? Dieser Problematik gelten Spitzers Untersuchungen. Kürzlich wurden die Daten einer Pilot-Studie an drei Probanden ausgewertet, die mit fünf verschiedenen Geschwindigkeiten die gleiche Strecke fahren mußten. Nach dem bisherigen Modell hätte die Aktivität relevanter kortikaler Areale mit zunehmender Geschwindigkeit ansteigen müssen – de facto nahm sie bei zunehmender Geschwindigkeit ab. Praktische Interpretation dieser Resultate (die allerdings noch durch weitere Studien bestätigt werden müssen): Je schneller man fährt, desto weniger sollte man nachdenken. Man sollte vielmehr reflexhaft und automatisch reagieren. Da die vergleichsweise langsamen (aber auch maximal flexiblen), im Frontalhirn stattfindenden Denkvorgänge ungeeignet sind für automatisch ablaufende schnelle Prozesse, verlieren sie mit zunehmender Geschwindigkeit immer mehr an Einfluß auf die Informationsvorgänge beim Fahren. Bei aller Post-hoc-Plausibilität bleiben Spitzers Ergebnisse doch eine medizinische Überraschung; schließlich ist Schnellfahren schwieriger als Langsamfahren. Doch beim Autofahren mit hoher Geschwindigkeit, folgert der Preisträger, handle es sich offenbar nicht um ein Problem im üblichen Sinn der kognitiven Psychologie.
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