Erkenntnisse zum zellulären Proteinabbau mit dem Nobelpreis für Chemie 2004 ausgezeichnet

Bahnbrechende Entdeckung über die Mechanismen der Müllentsorgung in der Zelle ermöglicht neue Wege in der Krebstherapie

Der diesjährige Nobelpreis für Chemie wird am 10. Dezember an zwei israelische und einen amerikanischen Forscher für die Entdeckung des gezielten Abbaus von Eiweißen in der Zelle verliehen. Eine wichtige Rolle spielt hier ein Eiweißmolekül namens Ubiquitin, das nicht mehr benötigte Proteine erkennt und für den Abbau markiert. Die so gekennzeichneten Proteine können dann mit Hilfe des Proteasoms, einem zelleigenen Müllverwerter, in einem biochemischen Mahlwerk abgebaut werden. Funktioniert der Proteinabbau nicht richtig, können Krankheiten wie beispielsweise Krebs entstehen. Die Entdeckung der diesjährigen Nobelpreisträger ist deshalb auch von besonderer Bedeutung für die Entwicklung neuer Medikamente. So wurde kürzlich ein innovativer Wirkstoff zugelassen, der den Proteinabbau von Krebszellen verhindert. Dieser spielt inzwischen eine wichtige Rolle in der Therapie des multiplen Myeloms, der zweithäufigsten Blutkrebserkrankung.

Der Abbau nicht mehr benötigter Eiweiße in der Zelle ist ein unverzichtbarer Vorgang, da der Körper auf diese Weise lebenswichtige Prozesse steuert. Wie die diesjährigen Nobelpreisträger Aaron Ciechanover, Technion in Haifa, sein Kollege Avram Hershko und Irwin Rose, University of California in Irvine, in langjähriger Forschungsarbeit herausfanden, ist die Markierungssubstanz Ubiquitin hierbei von besonderer Bedeutung. Ubiquitin ist ein Eiweißmolekül, das in allen kernhaltigen Zellen vorkommt (ubique = lateinisch für überall). Es markiert die nicht mehr benötigten Proteine innerhalb der Zelle, womit diese zum Abbau freigegeben werden – auf diese Weise also eine Art „Todeskuss“ erhalten.

Wie findet nun der eigentliche Abbau der überflüssigen Proteine statt? Nachdem die nicht mehr benötigten Eiweiße markiert worden sind, werden sie vom so genannten Proteasom abgebaut. Diesen Enzymkomplex kann man sich bildlich wie eine Mühle vorstellen – die Proteine werden also durch ein biochemisches Mahlwerk abgebaut. Wie man herausgefunden hat, weisen Krebszellen eine besonders hohe Proteasom-Aktivität auf. So kamen Forscher auf die Idee, einen Stoff zu entwickeln, der das Proteasom zeitweise hemmt und damit in den Lebenszyklus der Krebszellen eingreift.(1)

Neue Hoffnung für Patienten mit multiplem Myelom

Ein erster Vertreter dieses neuen Wirkprinzips ist Bortezomib – ein Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem multiplen Myelom, einer bösartigen Erkrankung eines ganz bestimmten Blutzelltyps, der so genannten Plasmazellen. In Deutschland leiden etwa 12.000 Patienten, vorwiegend ältere Menschen, an dieser Krankheit. Jedes Jahr kommen ungefähr 3.500 neue Patienten hinzu.(2) Das multiple Myelom ist damit die zweithäufigste Blutkrebserkrankung überhaupt und zählt zu den 20 häufigsten Tumorerkrankungen.(3) Die Erkrankung ist unheilbar und führt in der Regel nach durchschnittlich fünf Jahren zum Tod. Doch kann der Wirkstoff Bortezomib aufgrund seines innovativen Ansatzes der Proteasom-Hemmung zu einer Lebensverlängerung beitragen. Die Substanz setzt sich wie ein Keil auf die Proteasomen in den Krebszellen des Knochenmarks und verhindert so, dass die überflüssigen Eiweiße in die Zellmühle gelangen. Sie können demzufolge nicht mehr abgebaut werden und sammeln sich statt dessen in der Zelle an. Bortezomib blockiert auf diese Weise das Wachstum der Krebszellen und löst den Zelltod aus. Vereinfacht ausgedrückt: Die Krebszelle erstickt an ihrem „eigenen Müll“. Da gesunde Zellen eine deutlich geringere Proteasom-Aktivität aufweisen, reagieren sie weniger empfindlich auf deren Hemmung. Sie können sich deshalb in den Behandlungspausen gut erholen.

Hintergrundinformationen Bortezomib ist zunächst für die Behandlung erwachsener Patienten mit multiplem Myelom zugelassen, die mindestens zwei Vortherapien erhalten haben und bei denen es während dieser Zeit zu einem Fortschreiten der Erkrankung gekommen ist. In Studien wurde festgestellt, dass Bortezomib die Krankheitsentwicklung des multiplen Myeloms zumindest verlangsamen, aufhalten oder sogar zu einem Rückgang der Erkrankung führen kann.(4) Des Weiteren hat man herausgefunden, dass Bortezomib einer Therapie mit hochdosierten Kortisonpräparaten – einer bisherigen Alternative bei fortschreitendem multiplen Myelom – deutlich überlegen ist.(5)

Literatur:

(1) Adams J: The proteasome: structure, function, and role in the cell. Cancer Treatment Reviews 2003;29(Suppl.I):3-9.
(2) Brenner H: Long-term survival rates of cancer patients achieved by the end of the 20th century: a period analysis. Lancet 2002; 360: 1131-1135.
(3) International Agency for Research on Cancer, World Health Organisation; Ferlay J, Bray F, Pisani P and Parkin DM. Globocan 2000: Cancer Incidence, Mortality and Prevalence Worldwide, Version 1.0. IARC CancerBase No. 5, Lyon IARCPress, 2001.
(4) Richardson P et al. N Engl J Med. 2003;348:2609-2617.
(5) Poster Präsentation, ASCO, New Orleans, 6.6.04, 13-16h, 6511, Bortezomib vs. dexamethasone in relapsed multiple myeloma: A phase 3 randomized study.(Richardson P et al.)

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