Schädlicher Sauerstoff bei Lungenpatienten – LMU-Mediziner erhält Georg Heberer Award 2006
Es ist bekannt, dass das Immunsystem in manchen Fällen exzessiv reagiert: Dann löst die Vernichtung von Krankheitserregern eine unkontrollierte Entzündungsreaktion aus, die wiederum Gewebe und Organe schädigen kann. Wie ein Forscherteam unter der Leitung von Thiel zeigen konnte, beruht die Hemmung der aktivierten Immunzellen auf einem Molekül namens Adenosin und den dazu gehörigen Adenosin-A2A-Rezeptoren: Die Schädigung von Gewebe bewirkt eine Unterversorgung mit Sauerstoff. Das wiederum löst die Bildung von Adenosin aus, das sich über die Rezeptoren an die Immunzellen anheften und diese dann deaktivieren kann. Das in diesem Zusammenhang gebildete Adenosin agiert also als eine Art Botenstoff, während die Rezeptoren als empfindliche Sensoren eines exzessiven Gewebeschadens zu sehen sind. Diese unter der Leitung von Thiel erarbeiteten Ergebnisse wurden letztes Jahr mit dem Heinrich-Dräger-Preis der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin 2005 gewürdigt.
Ausgehend von dieser Arbeit widmete sich Thiel der Frage, ob eine erhöhte Sauerstoffzufuhr in der Therapie zur besseren Versorgung des entzündeten Gewebes den schützenden Mechanismus über Adenosin eliminiert – was die Schäden erheblich steigern könnte. Diese Hypothese untersuchte er am Tiermodell des ARDS. Das schwere Leiden erfordert oft die künstliche Beatmung der Patienten bei hohen Sauerstoffkonzentrationen. Diese Anwendung ist in vielen Fällen lebensrettend, könnte aber wiederum zu einer unkontrollierten Verstärkung der Entzündung führen. Das Forscherteam teilte die Mäuse mit akutem Lungenversagen in zwei Gruppen ein, wobei die Hälfte der Tiere einer Atmosphäre von 100 Prozent Sauerstoff ausgesetzt wurde, was der Therapie beim Menschen entspricht. Die anderen Mäuse wurden bei 21 Prozent Sauerstoff belassen. Das Ergebnis war eindeutig: In der reinen Sauerstoff-Atmosphäre starben fünfmal mehr Tiere als bei der Gruppe bei Raumluft.
Offensichtlich schützt die Unterversorgung mit Sauerstoff vor einem Fortschreiten der Entzündung durch die Aktivierung des Adenosin-A2A-Rezeptor-Signalwegs. Durch die künstliche Zufuhr von Sauerstoff wird dieser Mechanismus blockiert, und die Lunge des Patienten weiter geschädigt. Dieser Effekt aber konnte durch eine pharmakologische Stimulierung der A2A-Rezeptoren vermieden werden, so dass Adenosin trotz der hohen Sauerstoffkonzentrationen seine gewebsschützende Funktion entfaltete. Tatsächlich konnte das durch den Sauerstoff verstärkte Lungenversagen durch die Behandlung mit einem A2A-Rezeptor aktivierenden Wirkstoff so vermindert werden, dass alle Tiere überlebten. Für diese bahnbrechende Arbeit wurde Thiel mit dem Georg Heberer Award ausgezeichnet. Denn sie könnte der Ausgangspunkt sein für eine verbesserte Therapie von ARDS-Patienten, etwa durch die Inhalation von A2A-Rezeptor-stimulierenden Substanzen, während weiter Sauerstoff zugeführt wird. Das Verständnis körpereigener Mechanismen des Gewebeschutzes ist aber auch bei anderen Entzündungserkrankungen wichtig, etwa beim septischen Schock oder dem Multiorganversagen.
Im Jahr 2000 wurde erstmals an der LMU der nach dem Chirurgen Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Heberer (1920 – 1999) benannte Georg Heberer Award der US-amerikanischen Chiles Foundation verliehen. Prof. Dr. Heberer war bis 1989 Ordinarius für Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik am Klinikum Großhadern. Er beeindruckte als akademischer Lehrer und Forscher durch sein universelles Wirken und genoss als Chirurg große internationale Anerkennung. Mit der jährlichen Preisverleihung soll die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen auf dem Gebiet der Chirurgie gefördert werden.
Gestiftet wird der Preis von der seit über 50 Jahren bestehenden Chiles Foundation, die die medizinische Forschung vor allem auf dem Gebiet der Krebsforschung unterstützt. Die Stiftung unterhält große Institute an der Boston University und der Stanford University sowie das Krebsforschungszentrum „Earle A. Chiles Research Institute“ an der Oregon University in Portland. Seit 1986 wird ein intensiver wissenschaftlicher Austausch zwischen der Chirurgischen Klinik des Klinikums der Universität München und der Harvard Medical School sowie der Oregon Health & Science University gepflegt. Begabte deutsche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sollen mit der Verleihung des großzügig dotierten Georg Heberer Awards unterstützt und ermuntert werden, ihre wissenschaftlichen Projekte im Rahmen internationaler Kooperationen an ihren Heimathochschulen weiterzuführen. So wurde die preisgekrönte Arbeit von Manfred Thiel am „Laboratory of Immunology“ an den „National Institutes of Allergy and Infectious Diseases“ (NIAID) in Bethesda, USA, durchgeführt.
Ansprechpartner:
Professor Dr. med. Rudolf A. Hatz, MD, PhD, FACS
Chirurgische Klinik und Poliklinik des Klinikums der Universität München
Institut für Immunologie der LMU
Tel.: 089-7095-3511
Fax: 089-7095-3508
E-Mail: Rudolf.Hatz@med.uni-muenchen.de
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