Das Stromnetz fit für E-Mobilität machen

Ob die Umstellung auf Elektromobilität klappt, hängt unter anderem vom Stromnetz ab. Es besteht die Gefahr, dass das Stromnetz instabil reagiert oder gar zum Teil ausfällt, wenn sehr viele E-Fahrzeuge gleichzeitig laden und das Stromnetz nicht ausreichend ausgebaut ist.

Das Problem: Der Ausbau der Stromnetze kostet viel Geld und dauert. Ein europaweites Forschungsteam hat im EU-Horizon-Projekt „ELECTRIFIC“ Ideen entwickelt, wie sich das bestehende Netz mit Hilfe von künstlicher Intelligenz optimieren lässt.

„Intelligent laden – das fasst unsere Strategie am besten zusammen“, erklärt Prof. Dr. Hermann de Meer, Projektleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Informatik mit Schwerpunkt Rechnernetze und Rechnerkommunikation an der Universität Passau. „Beim Stromnetz rechnen wir mit Innovationszyklen von 30 Jahren“, sagt er. „Wir müssen die sehr viel kürzeren Innovationszyklen der Informationstechnologie nutzen, um das Stromnetz fit für die Zukunft zu machen.“

Das Passauer Team hat ein zweistufiges Steuerungskonzept für „Smart Charging“ konzipiert. Mit dessen Hilfe können Stromnetzbetreibende die Spannungs- und Lastdaten im Blick behalten. Um eine Netzüberlastung zu verhindern, verlagert der Algorithmus in einem Planungsschritt künftige Ladeprozesse in andere Netzbereiche oder auf andere Uhrzeiten.

„Unser Ampelsystem zeigt den Betreibenden den Zustand des Netzes an“, sagt Dominik Danner, Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Dr. de Meer. Wenn trotz frühzeitiger Ladeplanung Überlastung durch laufende Ladeprozesse droht, weil zu viele Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden, gleicht der reaktive Teil des „Smart-Charging“ Konzepts dies durch kurzeitig reduzierte Ladeleistung automatisch aus.

Testlabor Vilshofen: Netz blieb stabil

Das Forschungsteam testete und trainierte das System mit Daten aus Vilshofen: Die niederbayerische Kleinstadt eignet sich als Testlabor, da hier unter anderem das Bayernwerk beim Kundencenter eine kleine E-Flotte betreibt und die Ladeinfrastruktur entsprechend vergleichsweise gut ausgebaut ist.

Die Forschenden beobachteten über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren ein kleines Netzgebiet von nur einigen Häuserblocks, an dem aber acht Ladestationen hängen. Die Netzleistung maßen die Forschenden im Zwei-Sekunden-Takt. „Selbst, wenn alle acht Stationen belegt waren, kam das ausreichend ausgebaute Netz nicht an seine Grenzen. Die Fahrzeuge machten im Maximum etwa die Hälfte der Gesamtleistung aus“, berichtet Philipp Danner, ebenfalls Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Dr. de Meer.

Mobilitäts-Konzepte vom Bayerwald bis Barcelona

Das „ELECTRIFIC“-Team arbeitete noch weitere Ideen aus, wie sich Elektromobilität auf möglichst grüne Wege lenken lässt:
Ladezeitenplaner für Elektrobusse in Barcelona: Das Forschungsteam der TH Deggendorf befasste sich mit einem intelligenten Ladeprozessplaner für E-Flotten, unter anderem für die Busflotte in Barcelona. Ziel der katalanischen Hauptstadt ist es, den gesamten Busverkehr auf Elektromobilität umzustellen.

Mehr grüner Strom für Elektroflotten: Für die E-Flotte von Bayernwerk berechneten die Forschenden mit Hilfe des Ladeprozessplaners das Potential, die Fahrzeuge mit möglichst viel Ökostrom zu laden. Unter Berücksichtigung planbarer Betriebszeiten könnte der Anteil an tatsächlichen erneuerbaren Energien in den Fahrzeugbatterien von bislang 42 auf 53 Prozent bei einem durchschnittlichen Mix im Stromnetz von 43,7 Prozent gesteigert werden.

Intelligenter Routenplaner für E-Autos: Die Technische Universität Prag, in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftspartnern, programmierte mit Hilfe der Passauer Erkenntnisse zum Stromnetz einen intelligenten Routenplaner, der der Fahrerin oder dem Fahrer Ladezeiten vorschlägt, welche die Netzauslastung, den Anteil an Ökostrom und die Batterie des Fahrzeugs berücksichtigen. Eine erste Version dieses Routenplaners hat das Forschungsteam in den Autos von E-Wald im Bayerwald und im angrenzenden Böhmerwald getestet.

Anreizsystem für klimafreundliche Ladezeiten: Expertinnen und Experten aus der Psychologie und der Wirtschaftsinformatik von der Universität Mannheim entwickelten und testeten psychologische und ökonomische Anreizmechanismen, um klimafreundliches Verhalten bei Fahrerinnen und Fahrern zu belohnen – vom einfachen Hinweis-Sticker bis hin zu preislichen Anreizen.

Beteiligte und Förderung

Am EU-Projekt „ELECTRIFIC“ waren neben der Universität Passau zehn europäische Partnerinnen und Partner beteiligt. Der belgische Ableger der IT-Dienstleistungsgruppe GFI informatique koordinierte das Projekt.

Weitere Beteiligte sind die Universität Mannheim, die Technische Hochschule Deggendorf, die Technische Universität Prag (Tschechische Republik), FREEMIND CONSULTING (Belgien), die Bayernwerk AG, die has-to-be GmbH (Österreich), die E-WALD GmbH, die Agencia de Ecologia Urbana de Barelona Consorcio (Spanien) und e-Šumava (Tschechische Republik).

Für dieses Projekt wurden im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 713864 Fördermittel aus dem Programm der Europäischen Union für Forschung und Innovation „Horizon 2020″ bereitgestellt.

https://univideo.uni-passau.de/2019/08/electrific-universitaet-passau/ – Film zum Projekt

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Katrina Jordan idw - Informationsdienst Wissenschaft

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