DFG verlängert Förderung: In Ba-Wü entsteht Klimamodell mit nie dagewesener Präzision
Was wächst auf welchem Acker, wie unterscheidet sich das Klima in Tal- und Hanglage und wie wirken sich die neuen Klimaverhältnisse auf Arbeitsbedingungen, Produktqualität und Einkommen der Landwirte aus: In Baden-Württemberg rechnet ein Hochleistungsrechnern derzeit an einer Zukunftsprognose der Universität Hohenheim, die Fragen wie diese auf den Quadratkilometer genau beantworten soll.
Möglich wird dies, weil die Forschergruppe „Regionaler Klimawandel“ (FOR 1695) Physiker, Bodenwissenschaftler, Pflanzenwissenschaftler und Agrarökonomen zu einem Team zusammenschweißt. Ein weltweit einmaliger Ansatz, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG jetzt für weitere 3 Jahre mit 2 Mio. Euro unterstützt. 2018 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Es ist feuchtschwül im Jahr 2030. 50 % der Landwirte bei Pforzheim haben sich auf Soja-Anbau spezialisiert. Die Landwirte bei Nellingen auf der Schwäbischen Alb setzen auf den wärmeliebenden Hartweizen.Oder wird es heißtrocken, sehr wechselhaft und die Landwirte verhalten sich ganz anders?
Mit ihren Hochleistungsrechnern bohren die Forscher der Universität Hohenheim derzeit einen Tunnel in die Zukunft, um einen unerreicht scharfen Blick auf zwei Modellregionen im Kraichgau und auf der Schwäbischen Alb zu werfen.
Geerdet wird das Computermodell durch Wetterbeobachtungen, Bodenmessungen, Betriebsumfragen und Laborexperimente. 1.400 Quadratkilometer umfasst das Versuchsgebiet „Kraichgau“ bei Sinsheim. 1.300 Quadratkilometer das Versuchsgebiet „Mittlere Schwäbische Alb“ bei Münsingen.
Existierende Klimamodelle sind für regionale Prognosen zu ungenau
„Eine Projektion“ nennen die Forscher eine solche Prognose mit genau festgelegten Randbedingungen. Im Gegensatz zu bisherigen Prognosen enthält der Ansatz der Universität Hohenheim jedoch einige entscheidende Neuerungen.
„Für globale Trends sind unsere heutigen Klimamodelle geeignet. Aber sie vereinfachen die Welt und sind für regionale und lokale Analysen zu ungenau“, erklärt Prof. Dr. Thilo Streck, Sprecher der Forschergruppe an der Universität Hohenheim.
In dem aktuellen Projekt geht es der Forschergruppe deshalb vor allem um Grundlagenforschung. Ihr Ziel: die aktuellen Klimamodelle so zu verfeinern, dass regionale Prognosen fundamental verbessert werden können.
Forschergruppe 1695 sieht 3fachen Verbesserungsbedarf
Es sind vor allem 3 Unschärfen, bei denen es die Forscher der Universität Hohenheim künftig genau nehmen wollen:
• Räumliche Genauigkeit: bislang berechnen regionale Klimamodelle ihre Projektionen nur auf etwa 12 km genau. Vor Ort ist das viel zu grob, denn das Klima ist kleinräumiger. Im Schwarzwald zum Beispiel kann der tatsächliche Regen je nach Hanglage bis zu 100 % über oder unter dem Durchschnitt liegen, wie Forscher der Universität Hohenheim in einem Vorprojekt bestimmt haben.
• Einfluss der Vegetation: Pflanzen steuern Verdunstung, Wolkenbildung und Niederschlag, das heißt: Sie haben einen enormen Einfluss auf das Klima. Hier machen es sich die bisherigen Computermodelle zu einfach. Aktuell unterscheiden sie nur Stadt-, Wald-, Grünland- und Ackerflächen nach Satellitenaufnahmen, die fast 10 Jahre alt und statisch sind. Doch Vegetation und Landnutzung verändern sich mit dem Klima – und diese Veränderungen prägen auch die weitere Klimaentwicklung mit.
• Einfluss der Landwirte: Deshalb ist auch der Faktor Mensch bedeutsam, weil vor allem Land- und Forstwirte die Landnutzung mit dem Klimawandel verändern. Was auf ihren Landflächen angebaut wird, hängt davon ab, was unter neuen Klimabedingungen guten Ertrag und Verdienst verspricht – und welche Vorgaben die Agrar- und Umweltpolitik setzt.
Dies erklärt auch, warum eine solch interdisziplinäre Forschergruppe nur an der Universität Hohenheim entstehen konnte: „Nur hier finde ich alle Kollegen, die ich für so ein Projekt brauche, an einer einzigen Universität. Es ist eine besondere Konstellation“, erklärt Sprecher Prof. Dr. Streck.
Neues Computermodell kombiniert Physik, Pflanzen und Faktor Mensch
Die Arbeitsgruppe der Universität Hohenheim verschmilzt deshalb mehrere Computermodelle zu einem neuen, das es mit diesen Punkten wirklich genau nimmt. Den Kraichgau und die schwäbische Alb wählten die Forscher als Beispiel für ihre Entwicklung, weil beide jetzt schon ein sehr unterschiedliches Regionalklima haben.
Konkret koppeln die Forscher derzeit Schritt für Schritt verschiedene Einzelmodelle für Klima, Pflanzenwachstum und Landnutzung. Für jede Verfeinerung müssen die Hochleistungscomputer mehrere Monate lang rechnen.
1. Schritt: Genauigkeit bisheriger Klimamodelle erhöhen
Die Wechselwirkungen zwischen Bodeneigenschaften, Vegetation und der Wolken- und Niederschlagsbildung in der Atmosphäre sind besonders komplexe Prozesse. Vollständig verstanden sind sie bis heute nicht. Jede Vereinfachung verstärkt deshalb die Ungenauigkeit des Ergebnisses, betont Prof. Dr. Volker Wulfmeyer.
„Was nutzt einem Landwirt oder Tourismus-Manager der durchschnittliche Niederschlag seiner Gemeinde, wenn der tatsächliche Niederschlag auf einer Talseite doppelt so hoch ist wie auf der anderen“, fragt er als Leiter des meteorologischen Teils des Projektes.
Sein bevorzugtes Messgerät ist deshalb das Lidar: Ein weltweit einzigartiger Speziallaser, der Luftfeuchtigkeit und Feuchtigkeitsströme dreidimensional in der Atmosphäre misst. Vor 8 Jahren initiierte er ein UN-Projekt, bei dem 8 Nationen mit 10 Forschungsflugzeugen und dem jeweils besten Equipment ihres Landes die Wetterprozesse über dem Schwarzwald erstmals genau analysierten.
Wissenschaftlich war das Neuland, denn kleine Mittelgebirge sind bei den Atmosphärenprozessen besonders trickreich. Erkenntnisse aus diesem und anderen Projekten fließen nun in sein physikalisch-meteorologiesches Klimamodell ein.
Dieses Modell bildet die Basis für die Forschergruppe der Universität Hohenheim. Für Westeuropa sagt es das Klima auf 12 Kilometer genau voraus. Für Deutschland wird die Genauigkeit der Prognose bei 3 km liegen. In den Modellregionen wird sie das Klima auf 1 km genau projizieren.
2. Schritt: Einfluss von Pflanzen berücksichtigen
Weizen, Raps, Grünland, Mais und Gerste: All diese Pflanzen arbeiten als Pumpe, die Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen und in die Atmosphäre verdunsten. Außerdem wirken ihre Blätter als Spiegel, die Teile des Sonnenlichts ins All reflektieren. Und das sind nur zwei Beispiele für den Einfluss, den Pflanzen auf Wetter und Klima ausüben.
Um diesen Effekt zu berechnen, arbeiten die Forscher um Prof. Dr. Streck mit einem eigenen Computermodell. Darin sind nicht nur die derzeit gängigen Ackerfrüchte enthalten. „Wir rechnen damit, dass durch den Klimawandel bald auch Ackerfrüchte angebaut werden, die hier bislang noch nicht wirklich heimisch sind. Dazu gehören zum Beispiel Durum, Soja oder in verstärktem Maße die Sonnenblume“, meint der Leiter des Teilbereiches für Boden und Pflanze und Sprecher der gesamten Forschergruppe.
Erste Ergebnisse kann Prof. Dr. Streck schon nennen: „Unsere Berechnungen zeigen schon jetzt, dass es einen enormen Einfluss hat, ob ein Acker Feldfrüchte wie Winterweizen trägt, der den Boden bereits im Frühjahr bedeckt, oder ob Landwirte z.B. Mais anbauen, der den Boden erst im Spätjahr bedeckt.“
Aktuell sind die Forscher dabei das Klimamodell von Prof. Dr. Wulfmeyer mit dem Pflanzenmodell zu verfeinern. „Damit wäre der biophysikalische Teil des Modells bereits wesentlich verbessert und wir können den Faktor Mensch hinzufügen.“
3. Schritt: künftige Entscheidungen der Landwirte berücksichtigen
Welche Pflanzen in Zukunft auf welchem Acker wachsen ist jedoch nicht dem Zufall geschuldet, sondern eine bewusste Entscheidung der Landwirte. Und diese fällen ihre Entscheidungen hauptsächlich nach betriebswirtschaftlichen Aspekten.
Der vielleicht ambitionierteste Teil des Projektes ist es, auch diese Entscheidungen mit in die Klimamodellierung aufzunehmen.
In sein agrarökonomisches Computermodell ließ Agrarökonom Prof. Dr. Thomas Berger deshalb die anonymisierten Daten von 3.700 landwirtschaftlichen Betrieben aus Baden-Württemberg aus der amtlichen Agrarstatistik aufbereiten. Dazu gehörten zum Beispiel detaillierte Angaben zu Betriebsstruktur, Maschinenausstattung und Vermarktungswegen.
Um zusätzliche Daten zu gewinnen wie Landwirte mit unsicheren Wettererwartungen umgehen, führt Prof. Dr. Berger mit seinem Team spezielle ökonomische Laborexperimente durch. Im Computerlabor konfrontieren sie Landwirte aus der Region mit möglichen Zukunftsszenarien wie Extremwetter und hohe Ernteverluste und zeichnen auf, wie sie sich in diesen Situationen entscheiden.
Mit diesen Ergebnissen soll das Computermodell abschätzen können, wie sich die Landwirte an den Klimawandel anpassen. Dass diese innovative Kombination von Agrardaten und Laborexperimenten funktioniert, bewies Prof. Dr. Berger bereits mit einem Praxistest: Auf einem Workshop präsentierte er 30 Landwirten verschiedene typische Betriebe aus der Agrarstatistik und legte ihnen eine Reihe Vorschläge für die Bewirtschaftung im kommenden Jahr vor.
Jeweils einen Bewirtschaftungsplan für den Betrieb hatten “reale“ Landwirte konzipiert, die anderen fünf Pläne stammten von „virtuellen“ Landwirten aus dem Computermodell. Ergebnis: Selbst die erfahrenen Praktiker aus Baden-Württemberg konnten nicht unterscheiden, welcher Betriebsplan von Menschen und welcher vom Computer aufgestellt worden war.
Möglich macht dies eine sogenannte Multi-Agententechnologie, bei der viele kleine Computerprogramme mit künstlicher Intelligenz ausgestattet werden, um Fragen wie die Anbauplanung autonom zu analysieren und betriebliche Maßnahmen zur Klimaanpassung zu entwickeln. Auch politische Rahmenbedingungen wie EU-Subventionen o.ä. werden bei diesem Ansatz berücksichtigt.
Zusatzschritt: Auswirkungen auf die Produktqualität
Was immer die Forscher für die kommenden Jahre berechnen: In den Klimakammern von Prof. Dr. Fangmeier ist jedes Klima der Zukunft schon heute Möglichkeit.
Die mannshohen Versuchsschränke des Agrarbiologen sind voll mit feinster Regelungstechnik. Darin stehen Töpfe mit Weizen und einem genau geregelten Tagesablauf: ob Sonnenauf- und -untergang, ob Regenzeiten und -menge, sogar die Zusammensetzung der Luft und ihr CO2-Gehalt: alle Umweltbedingungen sind computergesteuert und lassen sich jedem Szenario anpassen.
Was den Leiter des Teilprojektes „Produktqualität“ interessiert, sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzen. Bringen sie mehr Ertrag oder weniger? Und wie verändert sich die Qualität? Denn: wenn Treibhausgase zunehmen, ändert sich auch die chemische Zusammensetzung im Korn. „Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf die Klebeeigenschaften von Weizen beim Brotbacken oder auf die Fettsäurezusammensetzung und den Energieertrag von Raps“, so Prof. Dr. Fangmeier.
Auf diese Weise ergänzt der Agrarbiologe die zentrale Entwicklungsarbeit der Forschergruppe. Und auch diese Änderungen könnten klimarelevant sein, denn sie beeinflussen den Strahlungshaushalt im System Boden-Pflanze-Atmosphäre. Doch diese Fragen sind beim aktuellen Projekt – noch – ausgespart.
Grundlagenforschung: Prognose für Ba-Wü wird abstrahiert
In den nächsten 2 Jahren will die Forschergruppe die biophysikalischen und agrarökonomischen Einzelmodelle zu einem Gesamtmodell verschmelzen und auf dem Hochleistungsrechner Simulationen rechnen.
„Für unser Projekt ist der Weg das Ziel“, erklärt Sprecher Prof. Dr. Streck: „Wir wollen erkennen, welche Effekte von den aktuellen Klimamodellen vernachlässigt werden, wie stark sich das vor Ort auswirkt und wie sich diese Schärfen ausmerzen lassen.“
Hintergrund: Halbzeit für Forschergruppe Regionaler Klimawandel (FOR 1695)
Ziel der Forschergruppe ist die Folgen des globalen Klimawandels für Agrarlandschaften am Beispiel zweier unterschiedlicher Modellregionen in Südwestdeutschland auf einer regionalen Skala zu untersuchen und Prognosen für ihre Entwicklung bis 2030 abzuleiten.
Mit ihrer hohen räumlichen Auflösung auf 1 km und ihrer interdisziplinären Konstellation besitzt die Forschergruppe im Vergleich zu zahlreichen anderen Verbünden im Bereich der Klimaanpassungsforschung ein Alleinstellungsmerkmal. Die Gutachter der DFG bescheinigen der Forschergruppe ein „sehr ambitioniertes Gesamtvorhaben“ mit „ausgesprochen großem wissenschaftlichen Anspruch“.
Nach einer ersten Förderphase von 2012 bis 2015 mit 2,5 Mio. Euro Förderung verlängerte die DFG deshalb jetzt um weitere drei Jahre mit einer Förderung von 2 Mio. Euro.
Text: Klebs
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Thilo Streck, Universität Hohenheim, Fachgebiet Biogeophysik, Tel.: 0711/459-22796, E-Mail: thilo.streck@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Volker Wulfmeyer, Universität Hohenheim, Institut für Physik und Meteorologie, Tel.: 0711 459-22150, E-Mail: volker.wulfmeyer@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Thomas Berger, Universität Hohenheim, Fachgebiet Ökonomik der Landnutzung in den Tropen und Subtropen, Tel.: 0711/459-24116, E-Mail: i490d@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Andreas Fangmeier, Fachgebiet Pflanzenökologie und Ökotoxikologie, Tel.: 0711 45922189, E-Mail: andreas.fangmeier@uni-hohenheim.de
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