Entwicklung einer autonomen Fähre
Kieler Forschungsprojekt zur Entwicklung einer autonomen Fähre erhält Millionenförderung des Bundesverkehrsministeriums.
Die Entwicklung eines autonomen Fährverkehrs in Kiel wird vom Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur mit rund 6,1 Millionen Euro unterstützt. Den entsprechenden Förderbescheid übergab Verkehrsminister Andreas Scheuer heute (29. März 2021) in einer Online-Veranstaltung an die Beteiligten des Projektes CAPTN „Förde Areal“. Die Verantwortung für die Umsetzung und Koordination des Projektes trägt die Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH (FuE-GmbH). Kooperationspartnerinnen sind die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), die Fachhochschule (FH) Kiel sowie die Unternehmenspartner ADDIX GmbH, Raytheon Anschütz GmbH und die Wissenschaftszentrum Kiel GmbH.
Die Initiative CAPTN (Clean Autonomous Public Transport Network) verfolgt seit 2018 das Ziel, eine umweltfreundliche, autonome Mobilitätskette für den öffentlichen Nahverkehr für die Stadt Kiel zu entwickeln und umzusetzen. Herzstück dieses Vorhabens sind autonome emissionsarme Personenfähren, die das Ost- und Westufer miteinander verbinden. Die Realisierung dieses Vorhabens ist mit der Bundesförderung ein ganzes Stück näher gerückt. In den kommenden zwei Jahren entsteht auf der Kieler Innenförde zunächst ein Testfeld für eine autonom agierende Forschungsplattform, die in zwölf Monaten vom Stapel laufen soll.
Die Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH fungiert als Bauherrin und Betreiberin des Versuchsträgers. Sie verantwortet die Nutzung des Testfeldes, den Aufbau einer Betriebsleitzentrale und koordiniert die einzelnen Forschungsprojekte von CAPTN Förde Areal. „Wir freuen uns auf die tolle Chance, unsere langjährige Erfahrung beim Bau und Betrieb von Forschungs- und Entwicklungsinfrastrukturen in das Vorhaben einzubringen“, erklärt FuE-Geschäftsführer Björn Lehmann-Matthaei. „Autonome Schifffahrt ist ein Gebiet mit großem technologischen Innovationspotential, für das neue Betriebs- und Sicherheitskonzepte erarbeitet werden müssen.“
Die Forschungsplattform wird aus Aluminium bestehen und mit einem emissionsfreien elektrischen Antrieb ausgestattet sein. Der 18 Meter lange und acht Meter breite Versuchsträger mit einem Tiefgang von einem Meter soll eine Tragfähigkeit von 8,5 Tonnen haben. In einem zunächst noch sehr begrenzten, ufernahen Areal werden Prof. Hauke Schramm (FH Kiel) und Prof. Tomforde (CAU) zunächst ein exemplarisches Manöver, das Ausweichen, erforschen.
Dabei wird die Plattform jedoch nicht autonom handeln, sondern einem Remote-Schiffsführer Vorschläge für die notwendigen Steuerungsmaßnahmen unterbreiten. Um dies gewährleisten zu können, wird die Plattform mit einer umfangreichen optischen Sensorik ausgestattet, erklärt Professor Hauke Schramm: „Erfasst werden soll der für die Sicherheit des Schiffes relevante Bereich, wobei dessen genaue Bestimmung beziehungsweise Definition Teil unserer Aufgabe sein wird.
Das Thema ist anspruchsvoll, da wir auf Basis der optischen Daten zu jedem Zeitpunkt, also bei Wind und Wetter, eine zuverlässige Erkennung der Schiffsumgebung erreichen müssen, also andere Schiffe, Schwimmer, Uferstrukturen und ähnliches erfassen möchten. Zumindest ist dies das Fernziel.“ Um später autonom agieren zu können, muss das System dazu mittels künstlicher Intelligenz (KI) die gewonnenen Daten auswerten und interpretieren lernen.
Diese Informationen müssen auf dem Schiff selbst erfasst und verarbeitet, gleichzeitig aber auch an die Basisstation an Land übertragen werden, damit diese gewährleistet, dass die Fähre auch nach einer Havarie per Fernsteuerung an Land geholt werden kann. Notwendig ist dafür eine leistungsfähige Datenverbindung, welche aber nicht immer für ein Schiff zur Verfügung steht. „Abhängig von der verfügbaren Kommunikationsverbindung muss das IT-System in der Lage sein, nur die notwendigen Informationen der Fähre an die Basisstation weiterzugeben. Also eine Abwägung zwischen Funktionalität und Sicherheit zu vollziehen“, erklärt Professor Dirk Nowotka von der CAU. Sein Projektteam an der Uni Kiel ist für die Datenverarbeitung der Sensoren auf dem Schiff und die Kommunikation des Systems mit der Landseite zuständig. „Wir kümmern uns um die funktionale Sicherheit der Datenverarbeitung, aber auch um die IT-Sicherheit“, erklärt der Wissenschaftler und Sprecher der CAPTN-Initiative.
Mit an Bord des Projekts ist der digitale Servicedienstleister ADDIX aus Kiel. Im Rahmen von CAPTN Förde Areal erforscht der Betreiber digitaler Infrastrukturen die Nutzung breitbandiger Datenkommunikation für die Seefahrt, die größer als ein Gigabit ist, erklärt ADDIX-Geschäftsführer Björn Schwarze: „So wollen wir eine Fernsteuerung und autonome Manöver im ‚Near-shore-Bereich‘, also küstennah, ermöglichen. Ferner werden wir die Sensordatenmenge fusionieren, speichern und auf Basis geeigneter redundanter Protokolle und bestehender Open Source Entwicklungen sicher übertragen. Die entstehende Lösung soll weltweit zur autonomen Steuerung von Hafen und Near-shore-Manövern sowie der Ship-to-Ship Kommunikation im Offshore-Bereich eingesetzt werden.“
Insbesondere bei Schiffen, die in der viel befahrenen Kieler Förde fahren, ist die Steuerung und Kontrolle eine besondere Herausforderung. Der Industriepartner Raytheon Anschütz stellt dafür die Navigationssysteme und sorgt für die sichere Vernetzung von Schiff zu Schiff sowie zwischen Schiff und Land. Der Remote-Schiffsführer im Kontrollzentrum erhält Navigationsdaten in Echtzeit und kann das Schiff überwachen und fernsteuern. Unterstützt wird er von intelligenten Assistenzfunktionen in der Navigationssoftware. „Seit Jahrzehnten stehen wir für zahlreiche maritime Innovationen. Wir wollen die Chance des neuen Versuchsträgers als Forschungsplattform hier in Kiel nutzen, um auch im Zeitalter der Digitalisierung und autonomen Schifffahrt für sichere Navigation zu sorgen“, ergänzt Daniel Sommerstedt, verantwortlich für strategische Entwicklung und Technologie-Roadmaps bei Raytheon Anschütz.
Dr. Wiebke Müller-Lupp, Geschäftsführerin der Wissenschaftszentrum Kiel GmbH und Koordinatorin des CAPTN-Netzwerkes hebt zudem hervor, was für eine Leuchtturmfunktion das Kooperationsprojekt weit über die Landesgrenzen hinaus hat: „Mit dem digitalen Testfeld und dem dafür notwendigen schwimmenden Versuchsträger werden wir noch stärker in allen Bereichen die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf die autonome und emissionsfreie Mobilität ziehen. Außerdem werden wir durch übergreifende Zusammenarbeit mit weiteren Bundesinitiativen von den Synergien profitieren und den Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft ermöglichen, ihre Produktentwicklungen unter realen Bedingungen zu erproben. Der Showcase auf der Kieler Förde wird sowohl der Innovationskraft der maritimen Wirtschaft als auch der Forschung am Standort Kiel einen starken Push geben.“
Fördermaßnahme: Investitionen zur Entwicklung von Digitalen Testfeldern an Bundeswasserstraßen
Das übergeordnete Ziel des vorliegenden Förderprogramms dient der weiteren Automatisierung der Binnenschifffahrt und Fähren. Um die Möglichkeiten einer Automatisierung definieren zu können, sollen Testfelder und Assistenzsysteme eingerichtet werden. Die Ergebnisse der Förderrichtlinie stärken die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Fähren und Binnenschifffahrt in der multimodalen Transportkette. Der Bund gewährt nach Maßgabe dieser Förderrichtlinie Zuwendungen als Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen für Vorhaben, die die Entwicklung zur hoch- oder sogar vollautomatisierten Navigation in der Binnenschifffahrt vorantreiben.
Hintergrund Initiative CAPTN:
Die Initiative „Clean Autonomous Public Transport Network (CAPTN)“, initiiert durch die Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel, vereint seit 2018 diverse transdisziplinäre Aktivitäten von CAPTN Partnern aus Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung unter einer Maxime: Die Etablierung einer integrierten innerstädtischen Mobilitätskette autonomer sauberer Verkehrsträger zu Wasser und zu Land für den öffentlichen Personennahverkehr (www.CAPTN.SH).
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Caroline Schmidt-Gross
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Wissenschaftszentrum Kiel GmbH
M: +49 1737849333
c.schmidt-gross@wize-kiel.de
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