Sieben Millionen Dollar für die Herz-Kreislauf-Forschung
Unterschiedliche Boten-RNAs entstehen in Zellen durch „alternatives Spleißen“. Die Leducq Foundation unterstützt nun ein transatlantisches Netzwerk, das diesen Prozess in Herzmuskelzellen erforscht – und welche Rolle er bei der Entstehung von kardiovaskulären Krankheiten spielt. Professor Michael Gotthardt vom MDC und Professorin Leslie Leinwand von der Universität Boulder, Colorado, koordinieren das Projekt.
Herzkreislauferkrankungen sind trotz Prävention und verbesserter Therapien noch immer eine der Haupttodesursachen weltweit. Wie wichtig alternatives Spleißen – der „Zusammenschnitt“ der Boten-RNA beim Ablesen der Gene – bei kardiovaskulären Erkrankungen ist, wurde erst vor kurzem erkannt. Mit sieben Millionen US-Dollar unterstützt die Leducq Foundation in den nächsten fünf Jahren das Projekt CASTT (Cardiac Splicing as a Therapeutic Target) von sechs europäischen und US-amerikanischen Forscherinnen und Forschern. Sie werden insbesondere die Regulation und Krankheitsrelevanz von alternativem Spleißen in den unterschiedlichen Zellen des Herzens untersuchen.
„Ziel ist es unter anderem, den Weg von der Identifizierung eines Spleißfaktors hin zum Medikament aufzuzeigen sowie eine Datenbank aufzubauen, die es künftig erleichtert, die komplexen Spleißinformationen in die Diagnostik von Herzerkrankungen einzubeziehen“, sagt Professor Michael Gotthardt, Leiter der Arbeitsgruppe „Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und europäischer Koordinator von CASTT. Die nordamerikanische Koordinatorin Professorin Leslie Leinwand, Biologin und Gründerin mehrerer erfolgreicher BioPharma-Unternehmen, ergänzt: „Die Leducq-Stiftung ermöglicht es Grundlagenwissenschaftlern und Klinikern über den traditionellen Tellerrand effektiver Behandlungen für Herzkrankheiten hinauszudenken und unterschiedliche Forschungsrichtungen vom Tiermodell bis zum Patienten mit innovativen genomischen und rechnergestützten Ansätzen zu verbinden.“
Zum Netzwerk gehören außerdem Professor Euan Ashley, Kardiologe an der Stanford Universität (Kalifornien), Professorin Maria Carmo-Fonseca, Zell- und Onkobiologin an der Universität Lissabon, der Kardiologe Professor Benjamin Meder vom Universitätsklinikum Heidelberg sowie Lars Steinmetz, Professor für Genetik am EMBL Heidelberg und der Stanford Universität.
Fehler beim Spleißen können Herzerkrankungen verursachen
Herzmuskelzellen benötigen eine Vielzahl von Proteinen, um sich zu entwickeln, zu kontrahieren, elektrische Impulse an Nachbarzellen weiterzuleiten oder auf äußere Einflüsse wie Stress zu reagieren. Die Baupläne für diese Eiweiße sind in den Genen abgelegt und werden in die Boten-RNA (mRNA) umgeschrieben, die diese Information dann an die Proteinfabriken der Zelle – die Ribosomen – übermittelt.
Um eine große Vielfalt an Eiweißmolekülen zur Verfügung stellen zu können, nutzen Zellen vor allem in höheren Lebewesen einen Trick: Ihre Gene codieren nicht nur für jeweils ein Protein, sondern können die Blaupause für mehrere sein. Gene enthalten in der Regel mehrere codierende Abschnitte, die Exons, und nicht-codierende Bereiche, die Introns. Letztere können beim Ablesen je nach Bedarf herausgeschnitten werden und Exons variabel verknüpft werden. So entstehen mRNAs, die unterschiedlich zusammengesetzt sind. Dieser als „alternatives Spleißen“ bezeichnete Vorgang wird vom Spleißosom gesteuert – einer komplexen Maschinerie aus Spleißfaktoren und Spleißregulatoren. Fehler beim Spleißen können Ursache von Herzerkrankungen sein. „Während im embryonalen Herzen Umbauprozesse dominieren, die das Herz wachsen und reifen lassen, sind es beim erwachsenen Organ eher solche, die eine effektive Pumpfunktion sicher stellen“, erklärt Michael Gotthardt. „Bei kranken Herzen sehen wir jedoch Genexpressionsmuster, die bezüglich der Proteinbildung zum Teil wieder in die embryonale Richtung gehen. Dadurch arbeitet das Herz nicht mehr im normalen Bereich.“
Ein Herz für große Mahlzeiten
Die Forschenden arbeiten sowohl klinisch als auch mit künstlichem Herzgewebe, Zellkulturen und mit Tiermodellen. Neben der Maus kommt dabei der burmesische Python ins Spiel, denn die Würgeschlange gehört zu den wenigen Lebewesen, die kurzfristig die Größe ihres Herzens verändern können – innerhalb eines Tages, nachdem sie eine große Beute verschluckt hat. Dadurch werden die Durchblutung erhöht und Nährstoffe schneller im Körper verteilt. Anschließend schrumpft das Organ wieder auf Normalgröße. „Wir wollen die sehr spezielle Regulation der Spleißprozesse am Pythonherz aufklären, weil wir denken, dass diese Erkenntnisse von therapeutischem Nutzen sein können. Etwa für Patienten, die an hypertropher Kardiomyopathie leiden, also einer Verdickung der Herzmuskulatur“, sagt Leslie Leinwand, die das BioFrontiers-Institut an der Universität Boulder, Colorado, leitet.
Die Leducq Foundation wurde 1996 in Paris von dem Industriellen Jean Leducq und seiner Frau Sylviane gegründet, um die transatlantische Zusammenarbeit bei der Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen voranzutreiben. Seither hat die Stiftung über 70 internationale Netzwerke auf diesen Gebieten gefördert, an denen mehr als 800 Forschende an über 130 Institutionen in 25 Ländern beteiligt sind.
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC ) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.
University of Colorado Boulder
Die University of Colorado Boulder ist eine innovative Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, die nach Lösungen für die humanitären, sozialen und technologischen Herausforderungen unserer Zeit suchen. Das BioFrontiers Institute vereint Forschende aus den Bereichen Lebenswissenschaften, Physik, Informatik und Ingenieurwesen, um die Grenzen der interdisziplinären Wissenschaft zu erweitern. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie wandeln sie die gewonnenen Erkenntnisse in Instrumente zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit um.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Professor Michael Gotthardt
AG Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-2245
gotthardt@mdc-berlin.de
Professor Leslie Leinwand
BioFrontiers Institute
University of Colorado Boulder
Leslie.Leinwand@Colorado.EDU
Weitere Informationen:
https://www.mdc-berlin.de/de/gotthardt – AG Gotthardt, Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie
http://www.mdc-berlin.de – Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
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