Intelligente Energienetze
Der letzte große Blackout in Europa traf rund 10 Millionen Menschen: Am 4. November 2006 um 22:09 Uhr waren Teile von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich und Spanien zwei Stunden lang ohne Strom. Sogar in Marokko waren Auswirkungen spürbar. Ausgelöst hatte die Kettenreaktion die Abschaltung einer Hochspannungsleitung im niedersächsischen Emsland. Der Grund für solche Stromausfälle liegt nach Meinung vieler Experten in der Vielfalt der Stromanbieter. Statt weniger großer Kraftwerke, die ihre Energie bedarfsorientiert ins Stromnetz einspeisen, sorgt seit der Liberalisierung des Strommarkts eine Vielzahl kleiner Stromerzeuger für Saft aus der Dose.
Wie man solche Ausfälle durch ein »Intelligentes Energienetz« vermeiden kann, zeigen Forscher des Fraunhofer-Verbunds Energie vom 16. bis 20. April auf der Hannover-Messe. Weitere Themen des Gemeinschaftsstands sind Energieeinsparung und Mikroenergietechnik.
Thomas Schlegl, Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbunds Energie, sieht in der Vielfalt der Stromanbieter eine Chance: »Ein intelligentes Energienetz bietet die Möglichkeit, Energiekosten zu senken und die Verbraucher über flexible Energiepreise in die Austarierung eines Netzes mit einzubeziehen.« Was darunter zu verstehen ist, hat ein erster Praxistest in Stutensee bei Karlsruhe gezeigt: Bei gleichbleibender Netzkapazität kann das Netz hier aufgrund der intelligenten Steuerung mehr dezentrale Einspeiser aufnehmen – vor allem aus Solarstromanlagen. »In der Siedlung mit etwa 100 Privathaushalten werden durch das Energiemanagement Leistungsspitzen auf der Mittelspannungsebene vermieden«, erläutert Schlegl. Der Netzbetreiber, das Mannheimer Energieunternehmen MVV, bestätigt, man habe die Spitzenlast wie vorgesehen um 35 Prozent reduziert.
Der Kern der intelligenten Steuerungssysteme sind Algorithmen, die dem System nach Bedarf Freiheitsgrade einräumen – sie berücksichtigen, von wo überall in unterschiedlicher Menge Energie eingespeist und verbraucht wird. Wie sich Strom-Produktionsspitzen nutzen lassen, zeigte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE mit dem regionalen Projekt »Waschen mit der Sonne«: Sorgte die Sonneneinstrahlung für ergiebige Stromproduktion, erhielten Verbraucher per SMS eine Nachricht: Wer so mithalf, die Stromspitzen im Netz abzubauen, erhielt einen finanziellen Bonus.
Um solche Angebote machen zu können, ist eine ausgefeilte Kommunikationselektronik nötig. Der Fraunhofer-Verbund Energie arbeitet daher an Technologien für das Energiemanagement. »Mit einem regional vielfältigen Angebot dezentraler Stromquellen lässt sich auf diese Weise ein virtuelles Kraftwerk schaffen«, sagt Schlegl.
Effizientes Management kann helfen, die Energieressourcen effektiv zu nutzen. Doch wie können Stromanbieter neue Systeme vorab testen? Auf der Hannover-Messe stellen das Fraunhofer Anwendungszentrum Systemtechnik AST und das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT ein im Aufbau befindliches Labor vor: Hier lassen sich Stromnetze und deren Steuerung simulieren und die zugehörigen Algorithmen optimieren.
Um die Steuerung von Niederspannungsnetzen zu verbessern, hat das ISE gemeinsam mit mehreren europäischen Partnern das Konzept »Power Flow and Power Quality Management System« PoMS entwickelt. Dieses Management System hilft, die stetig steigende Zahl dezentraler Erzeugungsanlagen in bestehende Energieversorgungsnetze zu integrieren und zu managen. Die Zielkriterien für das optimierte Management können dabei ganz unterschiedlich sein, etwa Kostenminimierung des Netzbetriebs, Reduzierung des Bedarfs an Regelenergie, Minimierung des Primärenergieeinsatzes.
Die Liberalisierung der Energiemärkte sorgt für tiefgreifende Veränderungen und stellt die Energieversorger vor immer komplexere Anforderungen. Für das Energie- und Energiedatenmanagement stellen Forscher des AST eine flexible und automatisierbare Lösung vor – die Stromerzeuger, Netzbetreiber, Vertrieb und Handel unterstützt.
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