Neue Bausteine für die Energiewende

Nach Einschätzung der Bundesregierung geht die Energiewende in Deutschland programmgemäß voran. Im März dieses Jahres wurde in Berlin der von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und Bundesumweltminister Norbert Röttgen vorgelegte Bericht zur Umsetzung des Zehn-Punkte-Sofortprogramms zum Energiekonzept beschlossen.

Dennoch stellen die Energiewende und deren Umsetzungen Forschung und Entwicklung vor enorme Herausforderungen. Dass dennoch bereits zahlreiche Lösungen marktreif sind, zeigen unter anderem die vielfältigen Präsentationen und Exponate der unterschiedlichen Forschungseinrichtungen auf der HANNOVER MESSE 2012, die in Halle 2 zum Thema Research & Technology ausstellen.

Abgesehen von Wind und Sonne sind innovative Verfahren zur Verwertung von Biomasse eine wichtige Option für die Zukunft.

Forscher der Jülich Aachen Research Alliance (JARA) gehen weg vom Konzept „Weizen in den Tank“. Vielmehr entwickeln sie Biokraftstoffe aus Pflanzenbestandteilen, die nicht für die Nahrungsmittelproduktion benötigt werden, sondern die aus Grünabfällen, Holz und Stroh gewonnen werden sollen. Hierbei decken die Teams des Exzellenzclusters „Maßgeschneiderte Kraftstoffe aus Biomasse (TMFB)“ gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie alle Prozessschritte ab – von der Pflanzenforschung über die Kraftstoffentwicklung bis zum optimierten Motorenkonzept.

Das Ziel der Forscher: Pflanzenanbau, Biokraftstoff und Motoren müssen umweltverträglich, nachhaltig und wirtschaftlich sein. Sie konzentrieren sich einerseits auf verwertbare Biomasse, die lokal angebaut wird, und andererseits auf kostengünstige und umweltschonende Verfahren bei der Herstellung und Verbrennung des Kraftstoffs. Biologen, Chemiker und Verfahrenstechniker arbeiten eng zusammen, um unter anderem den Hauptbestandteil der holzigen Pflanzen – die Lignozellulose – so weit aufzuschließen, wie es für die Nutzung als Kraftstoff notwendig ist. Zum Einsatz kommen innovative biologische, chemische und physikalische Verfahren. Ihnen ist gemeinsam, dass sie wenig Energie benötigen, wenig Abfall und Abwässer produzieren und zahlreiche Recycling-Schritte enthalten.

So werden zum Beispiel die zur Holzaufspaltung eingesetzten Hefen und Enzyme sowie wertvolle Restbestandteile physikalisch von den Kraftstoffelementen abgetrennt und wiederverwertet. Erste Erfolge dieses interdisziplinären Projekts sind neuartige Biokraftstoffe mit überzeugenden Eigenschaften. In Motorenversuchen bestätigte sich, dass einer der Biokraftstoffe im Dieselmotor nahezu ruß- und stickoxidfrei verbrennt. Ein anderer Kraftstoffkandidat auf Biobasis erzielte im Ottomotor einen bis zu zehn Prozent höheren Wirkungsgrad als konventioneller Ottokraftstoff, ohne dabei zu höheren Emissionen zu führen.

Damit bieten die Forscher der JARA einen Blick in eine zukunftsweisende Mobilität, die sowohl die Umwelt als auch das Klima schont.

Biogas aus Getreidestroh

„Mais gehört auf den Teller, nicht in Biogasanlagen.“ Diesem Motto haben sich auch Forscher des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme (IKTS, Dresden) gemeinsam mit mehreren kleinen und mittelständischen Unternehmen verschrieben. In enger Zusammenarbeit haben sie erstmals eine Pilot-Biogasanlage ausschließlich mit Getreidestroh betrieben, ein Rohstoff, welcher mit einer verfügbaren Menge von acht bis 13 Millionen Tonnen pro Jahr ein sehr großes Energiepotenzial in Deutschland darstellt.

Bisher konnten Biogasanlagen nur einen gewissen Anteil an derartigen Reststoffen verarbeiten, da sich diese meist schwieriger in Biogas umwandeln lassen als etwa reines Getreide oder Mais.
Üblicherweise benötigt Stroh für einen guten Abbaugrad 80 Tage im Fermenter und neigt dabei stark zur Bildung von Schwimmschichten.

„Durch eine geeignete Vorbehandlung dauert dies mit dem neuen Verfahren nur noch etwa 30 Tage, Probleme mit der Durchmischung des Reaktors treten nicht auf“, erklärt Dr. Ingolf Voigt, Abteilungsleiter des Forschungsfeldes Umwelttechnik und Bioenergie am IKTS.

Während der siebenmonatigen Versuche im Zehn-Kubikmeter-Maßstab konnte mit alleinigem Stroheinsatz ein mittlerer Methanertrag von 270 Normkubikmetern pro Kilogramm erreicht werden, was etwa 70 Prozent des Ertrages von Maissilage entspricht. Auch die Verstromung des Biogases haben die Forscher optimiert. Sie lenken das Gas in eine Hochtemperaturbrennstoffzelle, die einen elektrischen Wirkungsgrad von 40 bis 55 Prozent hat und so herkömmlichen Gasmotoren mit einem durchschnittlichen Wirkungsgrad von 38 Prozent überlegen ist. Die Brennstoffzelle arbeitet bei 850 Grad Celsius, die Wärme eignet sich zum Heizen oder lässt sich ins Nahwärmenetz einspeisen. Rechnet man den elektrischen und thermischen Wirkungsgrad zusammen, hat die Brennstoffzelle einen Gesamtwirkungsgrad von bis zu 85 Prozent.

Abfälle aus Olivenölproduktion werden zu Biogas

Auch das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB, Stuttgart) setzt auf Abfälle – speziell aus der Produktion von Olivenöl, bei der umweltbelastende flüssige und feste Reststoffe anfallen. Nach den Untersuchungen des IGB lassen sich mehr als zwei Drittel der enthaltenen organischen Trockensubstanz zu Biogas umwandeln. „Würden alle Reststoffe der Olivenproduktion in Europa zu Biogas vergoren, entspräche die gewonnene Bioenergie einer Menge, für die Mais auf einer Fläche von 2

800 Quadratkilometern angebaut werden müsste. Das entspricht der Größe des Saarlandes“, erläutert IGB-Projektleiter Professor Dieter Bryniok. Statt Flächen der Lebensmittelproduktion zu entziehen, kann die Vergärung organischer Reststoffe aus diesen Herstellprozessen also einen nachhaltigen Beitrag zu einer dezentralen Energieversorgung leisten.

Das längste Supraleiterkabel der Welt

Von großer Bedeutung für die Energiewende sind auch die notwendigen Übertragungs- und Verteilnetze zum Stromtransport. Hier haben Forscher des Karlsruhe Instituts für Technologie (KIT) zusammen mit dem RWE-Konzern (Essen) und Nexans an der Entwicklung des weltweit längsten Supraleiterkabel mitgewirkt, das im Projekt „AmpaCity“ auf rund einem Kilometer Länge zum Einsatz kommen und in der Essener Innenstadt zwei Umspannstationen verbinden soll.

Das Projekt könnte der Auftakt zur Umstrukturierung eines innerstädtischen Netzes in neuen Dimensionen sein: Nach erfolgreichem Abschluss eines zweijährigen Feldtests wäre es denkbar, das Rückgrat des Essener Verteilnetzes weitgehend auf Zehn-Kilovolt-Supraleiter umzustellen und von einigen Hochspannungsanlagen zu befreien. Dies würde mittelfristig zu mehr Effizienz sowie niedrigeren Betriebs- und Instandhaltungskosten bei gleichzeitig geringerem Flächenverbrauch führen. In der Innenstadt würden wertvolle Grundstücke frei, denn etliche 110/10-Kilovolt-Umspannstationen könnten abgebaut werden.

AmpaCity wird vom Energieforschungsreferat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) mit 6,3 Millionen Euro gefördert, die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 13,5 Millionen Euro. „Bisher haben Elektroingenieure die Supraleitung nicht in ihrem ,Werkzeugkasten', künftig werden sie sie als zusätzliches Betriebsmittel nutzen können“, erklärt Professor Mathias Noe, Leiter des Instituts für Technische Physik (ITEP) am KIT. „Das Projekt in Essen, das in rund zwei Jahren fertig gestellt sein soll, wird die sichere Anwendung der Supraleitung demonstrieren.“ Auf der Research & Technology wird das KIT innovative Anwendungen der Supraleitung zeigen.

Geheimrezept „Elektrochemische Speicher“

Energiequellen und Leitungssysteme sind unverzichtbare Teile der „neuen Energielandschaft“ – leistungsfähige Energiespeicher ebenso.

Elektrochemische Speicher sind die Schlüsselkomponente in einer Vielzahl künftiger stationärer und mobiler Anwendungen. Bei der Produktion dieser Systeme liegt heute der Anteil der Prozess- und Fertigungskosten im Bereich von rund 70 Prozent der Herstellkosten, die übrigen 30 Prozent entfallen auf Rohstoffe. Um eine signifikante Reduktion dieser Kosten etwa auf ein Drittel der heutigen Aufwendungen zu erreichen, sind eine gesamtheitliche Entwicklung von Batterie und elektrischem Antrieb sowie ein darauf abgestimmtes zuverlässiges und kostengünstiges Produktionsverfahren unabdingbare Voraussetzung.

Vor diesem Hintergrund hat das KIT das Projekt „Competence E“
aufgesetzt, das ein systemisches Entwicklungskonzept in Bezug auf das Produktdesign und die Produktionsverfahren umsetzt. „Ein solches Konzept im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens zu verfolgen, ist bisher europaweit einmalig“, betont Dr. Andreas Gutsch, Koordinator Competence E.

Das KIT hat dazu alle Arbeiten auf dem Gebiet elektrische Energiespeicher und elektrische Antriebssysteme durch die Zusammenarbeit von 26 Instituten aus den Bereichen Chemie, Materialforschung, Produktions- und Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Produktentwicklung, Fahrzeugsysteme, Informatik und Technikfolgenabschätzung gebündelt. So wird es möglich, industriell anwendbare kostengünstige Lösungen für Batterien und Antriebssysteme der zukünftigen Generationen zu entwickeln. Dabei wird ein integrierter Ansatz vom Molekül über die Batterie, den Elektromotor mit Leistungselektronik bis hin zum vollständigen funktionsfähigen elektrischen Antrieb in der jeweiligen Applikation verfolgt.

Parallel zur Entwicklung und zum prototypischen Aufbau von neuartigen Zellen, Batterien und Antriebssträngen werden neue Fertigungsverfahren für die kostengünstige Herstellung dieser Komponenten entwickelt und dargestellt. Dafür soll am KIT eine frei zugängliche Infrastruktur, das „System Engineering Center“, entstehen, die alle relevanten Entwicklungs-, Fertigungs- und Integrationsprozesse umfasst und somit die vorhandenen Lücken in der

Innovations- und Wertschöpfungskette schließt. Bei der Rohstoffauswahl für Energiespeicher und Elektromotoren steht der Einsatz von kostengünstigen und nachhaltig verfügbaren Rohstoffen im Mittelpunkt, beispielsweise Substitution von seltenen Erden, Kobalt und Nickel.

Ziel von Competence E ist es, innerhalb von sieben Jahren Batteriesysteme für den Einsatz in Fahrzeugen und stationären Anwendungen zu entwickeln, die eine Energiedichte von 250 Wattstunden pro Kilogramm aufweisen und im industriellen Maßstab zu Kosten von

250 Euro pro Kilowattstunde herstellbar sind. „Komplette Batteriesysteme inklusive Gehäuse erreichen heute etwa die Hälfte dieser Energiedichte bei einem doppelten Preis – wir streben also eine Vervierfachung des Preis-Leistungs-Verhältnisses an“, erklärt Dr. Olaf Wollersheim, stellvertretender Koordinator von Competence E.

Viele Bausteine für die Zukunft der Energie werden auf der Research & Technology Hannover bereits anschaulich dargestellt. Der Besuch der Messestände von Forschungseinrichtungen und -gesellschaften ist angesichts der Energiewende besonders relevant.

Insbesondere in Verbindung mit den Leitmessen Energy sowie der neuen IndustrialGreenTec, die zeitgleich ausgerichtet werden, können sich Besucher ein umfassendes Bild über die künftigen Lösungen für die Anforderungen der Energiewende verschaffen.

Über die HANNOVER MESSE

Das weltweit bedeutendste Technologieereignis wird vom 23. bis 27.
April 2012 in Hannover ausgerichtet. Die HANNOVER MESSE 2012 vereint acht Leitmessen an einem Ort: Industrial Automation, Energy, MobiliTec, Digital Factory, Industrial Supply, CoilTechnica, IndustrialGreenTec und Research & Technology. Die zentralen Themen der HANNOVER MESSE 2012 sind Industrieautomation und IT, Energie- und Umwelttechnologien, Industrielle Zulieferung, Produktionstechnologien und Dienstleistungen sowie Forschung und Entwicklung. China ist das Partnerland der HANNOVER MESSE 2012.
Ansprechpartnerin für die Redaktion:
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