Technologien für die Stadt der Zukunft
Das 21. Jahrhundert ist das „Jahrhundert der Städte“. 2005 lebten 50% der Weltbevölkerung in Städten. Bis 2030 wird der Grad der Urbanisierung auf 60% steigen, was einer Stadtbevölkerung von fünf Mrd. entspricht.
In den kommenden Jahren muss die Welt also rund 1,8 Mrd. neue Stadtbewohner aufnehmen und versorgen: Neben den notwendigen energetischen Sanierungen, müssen zukunftsfähige Lösungen für eine nachhaltige Mobilität gefunden sowie der Ausbau intelligenter Energienetze und das synergetisches Zusammenspiel von Architektur, Bautechnik, technischer Gebäudeausrüstung und Stadtplanung konsequent voran getrieben werden. Das Fraunhofer IBP zeigt auf der Hannover Messe 2013 vom 8. bis 12. April auf dem Gemeinschaftsstand Energie (Halle 13, Stand C10) und im Rahmen der Sonderschau „Morgenstadt“ (Halle 1, Stand E16) Produkt- und Systemlösungen als technologische Antwort für die Baubranche.
Megacities erzeugen auch Megaprobleme: Unersättlich verbrauchen sie Energie, Rohstoffe und Fläche, zudem produzieren sie Schadstoffe, Abwasserströme und Müllberge. Bis 2050 wird erwartet, dass zum Beispiel der Primärenergiebedarf um die Hälfte ansteigt, ebenso die CO2-Emmissionen. Diese Prognosen und Entwicklungen bedürfen schneller und effektiver Lösungen für die Planung, Realisierung und Umsetzung nachhaltiger Siedlungsstrukturen der Zukunft. Verschiedene Institute der Fraunhofer-Gesellschaft haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, durch intensive Forschung auf diesen ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Wandel zu reagieren.
Auch das Fraunhofer IBP arbeitet als Kerninstitut für den Forschungsbereich Bauphysik federführend an der Entwicklung neuer Technologien und Konzepte für die urbane Zukunft. »In der angewandten Auftragsforschung verlieren wir uns dabei nicht in Visionen, sondern forschen und entwickeln an der Realisierung zukunftsfähiger Städte. Dazu müssen Herausforderungen wie der Klimawandel ebenso im Fokus der Produkt- und Systementwicklung stehen wie Fragen der Ressourcenschonung oder der Energieeffizienz. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Mensch«, sagt Prof. Dr. Klaus Sedlbauer, Leiter des Fraunhofer IBP.
Das Haus als Kraftwerk
Das im Dezember 2011 eröffnete Effizienzhaus-Plus des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ist ein Projekt, das das Fraunhofer IBP bereits seit dem interdisziplinären Planungswettbewerb forschungstechnisch begleitet. Die Wissenschaftler führen konstant Messungen und Forschungsaufgaben am Gebäude im bewohnten und nicht bewohnten Zustand vor und werten diese aus. Um die Funktionsweise eines Plusenergiehauses für Jedermann nachvollziehbar und erlebbar zu machen, zeigt das Fraunhofer IBP auf dem Fraunhofer-Stand in Halle 13 (Stand C10) ein interaktives Modell. Gebäude dieser Art zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Laufe eines Jahres mehr Energie generieren, als sie für ihren Betrieb benötigen. Welche baulichen und anlagentechnischen Elemente für das ausgeklügelte Energiekonzept benötigt werden und wie sie zusammenspielen, zeigt das Querschnittsmodell. Hochwertige Hüllflächen und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sorgen für einen geringen Heizenergiebedarf, der über die Wärmepumpe in Verbindung mit einer Fußbodenheizung mit hoher Effizienz gedeckt wird, so dass schon geringe Photovoltaikflächen ausreichen, zu einem Energieüberschuss zu gelangen. Die intelligente Einbindung von Haushaltsgeräten, insbesondere der Spül- und Waschmaschine, senkt nicht nur den Energiebedarf, sondern sorgt – wie die wärmespeicherfähigen Heizflächen – dafür, dass die Wärmepumpe mit hoher Flexibilität betrieben werden kann. Das verbessert die Möglichkeiten, den selbst produzierten Strom zu nutzen und auf variable Stromtarife reagieren zu können. Beides führt zu einer hohen Wirtschaftlichkeit des zukunftsweisenden Plusenergiehauskonzeptes.
Neue Technologien für alte Bauten
Um das Thema Altbauten geht es stattdessen beim europäischen Projekt EFFESUS, das Forscher des Fraunhofer IBP im Rahmen der Sonderschau „Morgenstadt“ (Halle 1, Stand E16) vorstellen. 23 Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler Verwaltung aus 13 verschiedenen europäischen Staaten haben sich in diesem Projekt zusammengeschlossen, um historischen Stadtquartieren zu mehr Energieeffizienz zu verhelfen. Länderübergreifend entwickeln die Wissenschaftler unter anderem neue Technologien und Materialien zur Fensterreparatur und zur Innendämmung, einen Dämmputz und reflektierende Beschichtungen. In sieben europäischen Städten in verschiedenen Klimazonen – Bamberg (Deutschland), Santiago de Compostela (Spanien), Genua (Italien), Budapest (Ungarn), Istanbul (Türkei), Glasgow (Schottland) und Visby (Schweden) – werden zu diesem Zweck Fallstudien erarbeitet, um die verschiedenen Technologien an einem historische Gebäude wissenschaftlich fundiert zu überprüfen.
Im Fall der Unesco Weltkulturerbestätte Bamberg, das die IBP-Forscher auf der Hannover Messe exemplarisch präsentieren werden, sollen speziell für Altbauten entwickelte Dämmputze getestet werden. Doch bevor diese Dämmputze auf Bambergs historischen Fassaden aufgebracht werden, sind von den Forschern wissenschaftliche Untersuchungen – an eigens für solche Versuche gebauten Testhäusern – durchzuführen. Erst wenn die Putze hier gute Ergebnisse erzielt haben, versehen die Wissenschaftler eine etwa hundert Quadratmeter große Wand des Bamberger Rathauses Geyerswörth damit.
Ziel ist es letztlich, heute alltägliche Anforderungen an Gebäude in Bezug auf Komfort sowie Energieeffizienz oder Klimaschutz auch für historische Bauten umzusetzen, ohne dabei den Denkmalschutz aus den Augen zu verlieren. Nicht zuletzt deshalb ist eine zentrale Aufgabe von „EFFESUS“, eine Software zu entwickeln, die es Architekten und anderen Experten erleichtern soll, zielsichere Entscheidungen bei der Sanierung historischer Gebäude und Quartiere zu treffen. Die Software liefert ihnen beispielsweise konkrete Informationen darüber, welche Möglichkeiten es in den jeweiligen Quartieren zur Energieerzeugung gibt – und welche von vorne herein durch die Struktur des Stadtviertels ausgeschlossen werden können. Welche Daten müssen in das System eingegeben werden? Welche dienen nur zum Verfeinern der Ergebnisse? Wie kommt man an diese Daten und wie müssen sie aufbereitet sein? Diese Fragen wollen auch die IBP-Wissenschaftler im Projekt „EFFESUS“ klären.
Fühlen mit dem DressMAN 2.0
Können Messsensoren dasselbe „fühlen“ wie Menschen? Der DressMAN 2.0, ein vom Fraunhofer IBP entwickeltes Klimamesssystems, kann. In Räumen, aber vor allem in Fahr- und Flugzeugen herrschen häufig inhomogene und zeitlich veränderliche thermische Umgebungsbedingungen, welche insbesondere die Klimatisierung von Elektrofahrzeugen vor große Herausforderungen stellt, da die bisher verfügbare Abwärme aus dem Antrieb nicht mehr zur Verfügung steht. Um komplexe thermische Randbedingungen erfassen und objektiv bewerten zu können, haben Forscher des Fraunhofer IBP den DressMAN 2.0 entwickelt, den sie nun im Rahmen der Sonderschau „Morgenstadt“ (Halle 1, Stand E16) vorstellen.
Das neue Systemkonzept setzt dabei verstärkt auf den Einsatz von kommerziell verfügbaren Komponenten und eine vollständige Eigenentwicklung der Systemsoftware am Fraunhofer IBP. Zudem wurde ein neuer Komfortsensor entwickelt, der die Messung der sogenannten Äquivalenttemperatur ermöglicht. Dieses in der DIN EN ISO 14505-2 definierte Klimasummenmaß umfasst die Größen Lufttemperatur, Luftgeschwindigkeit und Wärmestrahlung. Damit werden thermische Umgebungsbedingungen mit nur einem Zahlenwert beschreibbar, was eine vergleichende Bewertung unterschiedlicher Klimaszenarien ermöglicht.
Darüber hinaus kommen Simulationsprogramme zum Einsatz, die die unterschiedlichen Temperatureinwirkungen auf den menschlichen Körper mit Hilfe von Computational Fluid Dynamics (CFD, numerische Strömungssimulation) untersuchen. Warme Anströmung aus der Lüftungsanlage, Sonneneinstrahlung, kalte Abstrahlung von Glasscheiben und die thermophysiologische Reaktion des Menschen darauf – das alles gilt es zu berücksichtigen, wenn man realitätsnahe Berechnungen durchführen möchte.
Geht es um die verschiedenen Teilbereiche der „Stadt der Zukunft“, finden der DressMAN 2.0, seine Sensorik und die dazugehörigen Simulationsprogramme viele Einsatzmöglichkeiten. So werden damit nicht nur neue Klimatisierungskonzepte für Elektrofahrzeuge evaluiert. Auch im Luftfahrtbereich unterstützt der DressMAN 2.0 die Fraunhofer-Forscher und ihre Industriepartner bei der Optimierung des persönlichen Komforts von Passagieren und Besatzungsmitgliedern in Flugzeugkabine und Cockpit. Da das System speziell für inhomogene thermische Umgebungsbedingungen ausgelegt ist, eignet es sich auch dafür, um Zugluftrisiken oder Strahlungsasymmetrien durch zu heiße oder kalte Oberflächen zu erfassen. Diese Problematik betrifft nicht nur den Transportbereich, sondern kann auch moderne Büro- und Industriearbeitsplätze beeinträchtigen.
Morgenstadt
Städte verbrauchen Energie und Rohstoffe, produzieren Abfall und Schadstoffe, die Verkehrssysteme sind überlastet. Fraunhofer-Forscher haben sich daher im Innovationsnetzwerk »Morgenstadt« zusammengeschlossen, um nachhaltige urbane Technologien und Systeme für die Städte der Zukunft zu entwickeln. Eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie verlangt eine Synchronisierung von kurzfristigen – wie bei Informations- und Kommunikationstechnologien – und langfristigen Zyklen – wie bei Gebäuden oder Verkehrsinfrastrukturen. Bisher verlaufen diese eher unabhängig voneinander. Daher hat die Initiative »Morgenstadt« ein strategisches Handlungsmodell entwickelt, mit dem bisher parallele Systeme vernetzt und ergänzende Schlüsseltechnologien erforscht werden.
Neben den Inhalten und Zukunftsprojekten der Initiative »Morgenstadt« werden auf der der Sonderschau „Morgenstadt“ (Halle 1, Stand E16) auch bereits realisierte bzw. angelaufene Stadtprojekte gezeigt. Für das Innovationsnetzwerk »Morgenstadt: City Insights« haben sich zwölf Fraunhofer-Institute zusammengeschlossen. Gemeinsam mit namhaften Partnern aus der Industrie und der deutschen Städte-Landschaft erarbeiten sie systematische Einblicke in erfolgskritische Schnittstellen auf dem Weg zur ressourceneffizienten, intelligenten und nachhaltigen Stadt der Zukunft. Dazu wurden sechs globale Städte festgelegt, die als inspirierende Systeme ein Vorbild für nachhaltige urbane Lösungen sind: Singapur, Kopenhagen, New York, Berlin, Freiburg, Tokyo. Bis Juli 2013 analysieren Expertenteams die Ansätze innerhalb dieser Städte. Ziel ist es, Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen einzelnen Vorreiterprojekten und den Stadtsystemen als Ganzem zu gewinnen.
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