Simulationsgestützt und hoch dynamisch: Virtuelles Prototyping

Das Team am Fraunhofer IIS/EAS baut ein eigenes Vehicle-in-the-loop-Labor auf. Hersteller können ihre Fahrzeuge in der virtuellen Umgebung testen und zertifizieren.
© Fraunhofer IIS/EAS

Fraunhofer auf der electronica 2022.

Was uns im Alltag beeindruckt, ist nicht selten Ergebnis unzähliger teurer und langwieriger Versuchsreihen, beispielsweise wenn das Auto beim Einparken das Steuer übernimmt. Fraunhofer-Forschende zeigen auf der electronica am Stand B4/258, wie sich mit virtuellem Prototyping Fehler und Probleme komplexer Steuerungs-Elektronik simulationsbasiert frühzeitig erkennen, Entwicklungszeiten verkürzen und Kosten deutlich reduzieren lassen.

Ob Navigationsgeräte, die spontane Staus anzeigen, noch ehe sie in Sichtweite kommen, oder Roboter, die in einer dynamischen Umgebung agieren – intelligente elektronische Komponenten, die Veränderungen der Umwelt und ihrer inneren Struktur erkennen, bewerten und sich eigenständig anpassen, sind in unserer vernetzten Welt längst allgegenwärtig und nehmen rasant zu. Doch der Weg zur Marktreife eines entsprechenden Produkts ist lang und alles andere als einfach.

In der Mikroelektronik gestalten sich Entwicklungszyklen deutlich komplexer als im klassischen Maschinenbau. Bei anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen, so genannten ASICs, und anderen eingebetteten Systemen sind Durchlaufzeiten von einem halben Jahr und länger keine Seltenheit. Die Chance eines Markteintritts ist schnell verpasst.

Dynamische Tests in simulierter Umgebung

Um die Prozesse zu verkürzen, unterstützen Dr. Christoph Sohrmann und sein Team am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, Institutsteil Entwicklung Adaptiver Systeme EAS, ihre Kunden durch virtuelles Prototyping: »Wir führen Teile der Produktentwicklungskette simulationsgestützt durch, können den Entwicklungsfluss dadurch auftrennen und mehrere Teams parallel starten lassen«, verdeutlicht der Gruppenleiter Virtuelle Systementwicklung.

Vom rein virtuellen Modell bis zum Teststand, an dem Hard- und Software im Kontext des Zielprodukts getestet werden können: Die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durchgeführten Prüfungen ermöglichen einen agilen Entwicklungsprozess. »Durch die Verwendung von virtuellen Modellen können intensive Softwaretests beginnen, lange bevor die Hardware verfügbar ist. Unsere Kunden können ihr System Stück für Stück in-the-loop prüfen: Das erhöht die Abdeckung deutlich und bringt robustere Systeme hervor. Die virtuelle Entwicklung ergänzt dabei den klassischen Entwicklungszyklus: Die Software ist deutlich fehlerärmer, wenn sie auf dem tatsächlichen Prototypen landet«, erläutert Fraunhofer-EAS-Experte Sohrmann. Ein zentraler Punkt, denn die Kosten, um einen Fehler zu beheben, steigen exponentiell von der Konzeptphase bis zur Massenproduktion. Kommt es gar zum Rückruf eines Produkts, kann dies das Aus für eine Firma bedeuten. Folglich sollten Fehler so früh wie möglich erkannt und eliminiert werden.

Ein weiterer triftiger Grund für eine virtuell unterstützte Entwicklungsmethodik ist die Menge an Tests, die für ein fehlerfrei laufendes System nötig sind. Eine besondere Herausforderung stellen die unzähligen Grenz- und Sonderfälle dar. Sohrmann erläutert dies am Beispiel Automobil: »Viele aktuelle Modelle halten automatisch die Spur. Wenn sich die Sonne auf der Leitplanke spiegelt, kann das einen zusätzlichen Strich auf die Fahrbahn werfen. Plötzlich orientiert sich das Auto an diesem dritten, hellen Strich.« In der Simulation können die Expertinnen und Experten parallel eine Million Fahrzeuge fahren lassen und in derselben Entwicklungszeit sehr viel mehr Fahrsituationen durchspielen – eine deutliche Zeit- und Kostenreduktion, die dem realen Modell im Automobilbereich viele Millionen gefahrener Kilometer erspart.

Validierung KI-basierter Systeme

Prüfverfahren für intelligente, selbstlernende Systeme stehen ebenfalls im Fokus der Fraunhofer-EAS-Fachleute. Wie müssen etwa TÜV-Testprozesse für autonom fahrende Autos aussehen? In drei Jahren kann sich viel verändern – in einer Stadt und am Fahrzeug. KI-Algorithmen lernen dazu und haben sich innerhalb dieser Zeit entsprechend angepasst. Der TÜV muss in der Lage sein zu überprüfen, ob alle Systeme trotzdem korrekt funktionieren. Da eine Hauptuntersuchung nicht drei Wochen in Anspruch nehmen kann, ist eine virtuelle Unterstützung im Prüfstand unausweichlich. »Das ist eine große Herausforderung. In weniger als zehn Jahren müssen diese Prüfverfahren zur Verfügung stehen«, gibt Sohrmann zu bedenken. Entsprechend wollen die Forschenden ihre Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in der Beratung, aber auch in der technischen Unterstützung weiter ausbauen.

Die Fachleute sind sich sicher: Virtuelles Prototyping wird in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen – insbesondere und überall dort, wo KI zum Einsatz kommt. Und es braucht validierte Prüfverfahren, welche die korrekte Funktionsweise entsprechender Produkte nachhaltig garantieren.

Diese und weitere Innovationen werden auf dem Presserundgang am 16.11.22 um 11 Uhr am Fraunhofer-Stand 258 in Halle B4 näher vorgestellt. Melden Sie sich bei Interesse bitte unter presse@zv.fraunhofer.de an.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Sandra Kundel
Fraunhofer IIS-EAS
sandra.kundel@eas.iis.fraunhofer.de

Originalpublikation:

https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2022/november-2022/simul…

Weitere Informationen:

https://www.fraunhofer.de/de/presse/pressemappen/pressemappe-zur-electronica.htm…

Media Contact

Mandy Bartel Kommunikation
Fraunhofer-Gesellschaft

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