Biomechanik als Anwendungsforschung – Transfer zwischen Theorie und Praxis

Das 6. Symposium der dvs-Sektion Biomechanik (22.-24.3.2001; Konstanz) soll die Rolle der Biomechanik als anwendungsorientierte Disziplin verdeutlichen. Theoretische Zugänge, Forschungsergebnisse und Anforderungen aus der Praxis sollen vorgestellt und diskutiert werden. In den Hauptreferaten werden disziplinübergreifende Aspekte anderer Forschungsrichtungen angesprochen.

Aufgrund der weltweit positiven Resonanz auf den 16. Weltkongress für Biomechanik, der 1998 unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Riehle an der Universität Konstanz durchgeführt wurde, ist die Konstanzer Sportwissenschaft von der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) beauftragt worden, erneut ein Symposium für Biomechanik in Konstanz durchzuführen. Dieses Symposium, das in der Zeit vom 22.-24. März 2001 im Hörsaal A 703 der Universität Konstanz durchgeführt und während der Tagung u.a. auch der Ehrenpräsident des Weltverbandes für Sportmedizin, Prof. Dr. Dr. W. Hollmann zum Thema Gehirn, Geist, Psyche und körperliche Aktivität sprechen wird, soll alle am Sport interessierten Personen ansprechen.

Die vier Hauptvorträge und 30 Kurzvorträge befassen sich nicht nur mit Themen, die für die Sportwissenschaft relevant sind, sondern sollen insbesondere Möglichkeiten zur Anwendung sportwissenschaftlicher Forschungsergebnisse in der Praxis aufzeigen, d.h. das 6. Symposium der dvs-Sektion Biomechanik soll die Rolle der Biomechanik als anwendungsorientierte Disziplin verdeutlichen. Theoretische Zugänge, Forschungsergebnisse und Anforderungen aus der Praxis sollen vorgestellt und diskutiert werden, wobei in den Hauptreferaten versucht wird, disziplinübergreifende Aspekte anderer Forschungsrichtungen anzusprechen.

Das Symposium beginnt am 22.3.2001 (Do) um 13 Uhr und endet am 24.3.2001 (Sa) um etwa 14 Uhr. Tagungsort ist der Hörsaal A 703 der Uni Konstanz. Die wissenschaftliche Leitung und Organisation hat Prof. Dr. Hartmut Riehle.

Neben mehreren Kurzreferaten, stehen folgende Hauptvorträge (45 Min.) im Mittelpunkt der Veranstaltung:

– Prof. Dr. Dr. Wildor Hollmann (Köln) zu „Gehirn, Geist, Psyche und körperliche Aktivität“;
– Prof. Dr. Reinhard Blickhan (Jena) zu „Robustes Laufen: Biomechanische Grundlagen für Biologie, Robotik und Sport“;
– PD Dr. Thomas Milani (Essen) zu „Die Bedeutung subjektiver und objektiver Messdaten in der Präventiven Biomechanik“;
– PD Dr. Dieter Rosenbaum (Münster) zu „Anwendung biomechanischer Meßmethoden bei der Diagnostik und Therapie von orthopädisch – traumatologischen Beschwerden im Sport“.

Zu den Höhepunkten der Tagung dürfte der Vortrag von Prof. Dr. Dr. Wildor HOLLMANN, Ehrenpräsident des Weltverbandes für Sportmedizin und des Deutschen Sportärzteverbandes sein, der zu den renommiertesten Sportmediziner der Welt gehört. Prof. Hollmann gründete 1958 das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Universität zu Köln, habilitierte dort 1961 und war seit 1965 ordentlicher Professor für Kardiologie und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln. Neben seinen zahlreichen Publikationen hat Prof. Hollmann große Verdienste bei der Entwicklung der Ergometrie-Blutdruck-Messung erworben und führte u.a. die ventilatorische und Laktatschwelle ein, die heutzutage das meistbenutzte Kriterium in der internationalen Leistungsdiagnostik darstellt. Von den zahlreichen wissenschaftlichen und staatlichen Auszeichnungen seien nur genannt: den Carl-Diem-Preis für sportwissenschaftliche Forschung, der Hufeland-Preis für Präventivmedizin oder das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Auch war Hollmann als Arzt der Fußball-Nationalmannschaft von 1958-1978 tätig, ebenfalls für die dt. Golf- und Hockey-Nationalmannschaft. Für 28 Jahre war er Chefredakteur der „Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin“, saß im Beirat der Bundesärztekammer und des Verteidigungsministeriums, war von 1994-1997 Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft und ist u.a. Ehrendoktor und Ehrenprofessor der Universität Thessaloniki und Ehrenbürger der Deutschen Sporthochschule Köln.

Prof. Dr. Hollmann wird auf dem Symposium über „Gehirn, Geist, Psyche und körperliche Aktivität“ sprechen. Trotz weltweiter Forschung stellt das Gehirn das komplizierteste und am wenigsten erforschte Gebilde im ganzen uns bekannten Universum dar. Fragen die gestellt werden betreffen z.B. den „freien Willen“ – wie weitgehend kann der Mensch tatsächlich selbst Entscheidungen treffen, wie stark ist er von seinen Gefühlen abhängig? Diese und ähnliche Fragen können in gewissem Maße neuroanatomisch und neurophysiologisch, auf Basis spezifischer Neurotransmitter (den Botenstoffen im Gehirn) erläutert werden. Wie allerdings solche chemischen Stoffe Bewusstsein erzeugen, ist weiterhin ein Rätsel. Die Forschung auf diesem Gebiet läuft auf Hochtouren und zeigt letztendlich eine enge biochemische Verbindung zwischen Gehirnfunktion, Skelettmuskulatur und dem System von Herz, Kreislauf und Atmung. Es besteht eine enge Interaktion zwischen zentralen und peripheren Körperreaktionen in Verbindung mit akuter Arbeit und chronischem Training. Dem Neurotransmittersystem kommt dabei eine wichtige modulierende Funktion zu. Moderne technische Geräte können strukturelle und funktionelle Reaktionen des menschlichen Gehirns, bei qualitativ und quantitativ unterschiedlichen körperlichen Beanspruchungen, aufzeigen. Darüber hinaus wird Hollmann auf altersbedingte Gehirnveränderungen und körperliche Aktivität sowie der kognitiven Leistungsfähigkeit von älteren Personen eingehen.

Den zweiten umfassenden Vortrag gibt Prof. Dr. BLICKHAN („Robustes Laufen: Biomechanische Grundlagenforschung für Biologie, Robotik und Sport“), der einen Einblick in die Bewegungsanalyse bei Mensch und Tier sowie die Zusammenhänge zur modernen Robotik aufzeigen wird. Die Untersuchung von Bewegungssystemen mit Beinen ist ein hochaktuelles Forschungsgebiet in Biologie, Medizin, Technik und Sportwissenschaft. Das Interesse für die Funktion von Bewegungssystemen führt zum besseren Verständnis für die Vielfalt und Bedeutung der tierischen Lebensformen, denn Verhalten drückt sich immer in Bewegung aus. Aber auch die relevante Rolle der Bewegung in der Technik ist von hochaktueller Bedeutung, wie z.B. an den bipedalen Läufern von Honda oder die niedlichen Hunde von Sony deutlich zu erkennen ist. Roboter sind heutzutage in der Lage Operationen, Reinigungen, Reparaturen und v.a.m. durchzuführen. Ihre Entwicklung stellt ein enormes Potential dar, das in ca. 10 Jahren eine ähnliche Bedeutung erlangen wird, wie die Automobilindustrie. Aber auch im Sport haben sich durch die technologischen Entwicklungen weitreichende Möglichkeiten ergeben. In Leistungszentren werden zunehmend die modernen Verfahren der Biomechanik eingesetzt, um Belastungen und Leistungsmöglichkeiten abzuschätzen. Es gilt Strategien zu entwerfen, die eine Verbesserung und Stabilisierung des Beinverhaltens bewirken.

Ein weiterer Vortrag wird sich mit der „Bedeutung subjektiver und objektiver Messdaten in der präventiven Biomechanik“ auseinandersetzen. PD Dr. MILANI wird über den Zusammenhang von subjektiver Wahrnehmung und biomechanisch gemessenen Variablen von Belastungen sprechen, die im Sport auf den Körper einwirken können. Er wird dabei näher auf Druck- und Stoßbelastungen eingehen und deren Zusammenhang zwischen subjektiver Wahrnehmung und Reizintensitäten, um so auf die Funktionsweise der Sensorik schließen zu können.

PD Dr. ROSENBAUM wird über „Anwendung biomechanischer Meßmethoden bei der Diagnostik und Therapie von orthopädisch – traumatologischen Beschwerden im Sport“ referieren. Der Mensch setzt sich als bewegender Organismus äußeren Belastungen aus, die verschiedene Gewebsstrukturen, Muskeln, Knochen, Sehnen und Bänder beanspruchen. Bei zu hohen Belastungen kommt es zu Verschleißerscheinungen, Mikrotraumen, akuten Traumen, Frakturen und Schädigungen der Knochen. Die Biomechanik beschäftigt sich mit den auf die biologischen Strukturen einwirkenden Kräften und deren Auswirkungen. Sie bedient sich dabei verschiedener Messverfahren, wobei die zweidimensionale Videoanalyse, die dreidimensionale Bewegungsanalyse mit kamerabasierten Systemen, die Oberflächen-Elektromyographie (EMG), die plantare Druckverteilungsmessung und die isokinetische Kraftdiagnostik die wichtigsten Systeme darstellen. Anwendung finden diese Methoden u.a. bei Instabilitätsmessungen und beim Instabilitätstraining. Es kann festgestellt werden, ob eine operative Therapie nötig ist oder ob ein neuromuskuläres Training eher angezeigt ist. Die Druckverteilungsmessung ist z.B. eine bevorzugte Methode bei der Entwicklung von Sportschuhen und Einlegsohlen. Die Verfahren können sowohl zu klinisch-diagnostischen Zwecken eingesetzt werden und für kurative und rehabilitative Maßnahmen bei Sportlern mit akuten Verletzungen oder Überlastungsschäden eingesetzt werden.

Neben diesen vier Hauptreferaten wird es eine Reihe von Kurzvorträgen geben, u.a. zu folgenden Themen:
ACE, sportliche Leistung und Eigenschaften des Menschen; Angewandte Biomechanik im Leistungssport am Beispiel des Skatens im Biathlon; Anpassung der Muskelkoordination auf Veränderungen der Schrittfrequenz beim Laufen mit gleicher Geschwindigkeit; Anwendung von aktivierungsgesteuerten Hill-Modellen zur Bestimmung von Muskelparametern; Beinsteifigkeit als Schlüssel zur Charakterisierung der Gelenkfunktion bei repulsiver Beinbeanspruchung; Belastungsreaktionen beim Kraftausdauertraining (KA-T) über mehrer Serien; Belastungsvariation in einem sensomotorischen Training; Bewegungsanalyse und Vorwärtssimulation eines realen Flick-Flacks und einer analog modellierten Bewegung; Bewegungslernen und Attraktorstabilität – vorläufige Ergebnisse und mögliche Anwendungen; Bewegungsverhalten und neuromuskuläre Aktivierung nach vorderer Kreuzbandkonstruktion mit dem Patellar- und Semitendinosustranplantat; Biodynamik und Kraftwirkungen in der Wirbelsäule während Vibrationsbelastungen; Biomechanische Untersuchungen zur Beanspruchung der lateralen Sprunggelenkbänder; Der Einsatz von Satelliten-Navigationssystemen (GPS, DGPS) im Sport; Die Anwendung der Methode „Dynamic Tracking“ zur Gewinnung geglätteter Gelenkwinkelverläufe; Die Bedeutung subjektiver und objektiver Messdaten in der präventiven Biomechanik; Die Bewegung des Bogens während des Zielvorganges und der Schussauslösung; Die Veränderung biomechanischer Kenngrößen während eines 10 km-Laufs – eine Feldstudie; Eigenschaften und Schutzfunktion des Fersenfettpolsters in Abhängigkeit vom Körpergewicht; Gehirn, Geist, Psyche und körperliche Aktivität; Innervationsmuster der Beinmuskulatur und ihre Bedeutung für neuromuskuläre Anpassungsprozesse; Innerzyklische Geschwindigkeits-kennlinien zur Steuerung des Techniktrainings von Hochleistungsschwimmern; Kinematische Analyse der Springtechnik bei Spitzenreitern; Kinematische Analyse einer Katzenschraube im Trampolinturnen; Lateralität und Leistungsentwicklung in zyklischen Sportarten; Leichtathletik-kinematische Analyse eines Laufsprungs; Messung von Horizontalbewegungen im Sportschuh – Vorstellung eines neuen Messverfahrens anhand von Ist-Analysen; Möglichkeiten und Grenzen der Stabilisierung des OSG durch Orthesen; Möglichkeiten zur Erfassung der Gelenkkinetik an einer Funktionsstemme unter Verwendung eines Ersatzmodells der unteren Extremitäten; Segmentale 3-D-Bewegungsanalyse des lumbalen Rückens – Methodik und erste Ergebnisse; Simulation der vertikalen Bodenreaktionskraft bei Landungen auf Hallenböden; Stabilitäts- und Variabilitätseigenschaften von Geh- und Laufbedingungen unter dem Aspekt der Selbstorganisation; Topographische Darstellung des myoelektrischen Signals am M. quadriceps mittels 32 Kanal EMG-Mapping; Visualisierung von Kniegelenkskräften beim gehen auf verschiedenen geneigten Ebenen; Wege aus der Sackgasse? Neue methodologische Ansätze zur EMG-gestützten Bewegungsanalyse; Zum Einsatz von Highspeedvideo beim Pferdsprung; Ermüdungsbedingte Veränderungen der Belastung bei der Landung im Beach Volleyball.

Die Referenten rekrutieren sich aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz.

Anmeldung / Information / Akkreditierung:
Prof. Dr. Hartmut Riehle
Universität Konstanz, Sportwissenschaft
Universitätsstr. 10, 78457 Konstanz
Tel.: (07531) 88-2338/-3594/-2743, Fax: (07531) 88-4221
E-Mail: hartmut.riehle@uni-konstanz.de

Weitere Informationen zum Symposium (Programmverlauf, Hotels, Rahmenprogramm, u.a.) gibt es auch im Internet: http://www.uni-konstanz.de/FuF/SportWiss/dvs

Weitere Informationen finden Sie im WWW:

Media Contact

Frederik Borkenhagen idw

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