Viadrina-Preis 2001 an Günter Grass verliehen
Bewegender Auftakt für 10-Jahresfeier der Universität an der deutsch-polnischen Grenze
Mit dem Viadrina-Preis 2001 der Europa-Universität Frankfurt (Oder) wurde am heutigen Freitag der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass geehrt. Die Auftaktveranstaltung zu den Feierlichkeiten der Viadrina anlässlich ihres 10. Geburtstages am 15. Juli wurde zu einem bewegenden Appell des Geehrten und des Laudatoren Adam Michnik, die deutsch-polnischen Beziehungen immer im geschichtlichen Kontext mit Blick in die Zukunft zu leben. Der vom ehemaligen Herausgeber und Chefredakteur der „Märkischen Oderzeitung“, Claus Detjen, dem Vorsitzenden des Kuratoriums des Förderkreises der Universität, gestiftete Preis wird an herausragende Persönlichkeiten für besondere Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung vergeben. Günter Grass ist nach Karl Dedecius und Adam Michnik der dritte Preisträger.
Eingangs hatte Uni-Präsidentin Prof. Gesine Schwan darauf verwiesen, dass trotz allen Engagements selbst an der Viadrina die deutsch-polnische und europäische Gemeinsamkeit nicht immer und zu allen Zeiten so vorbildlich gelebt werden, wie man sich das wünsche und als Ziel vor Augen habe. „Die Kraft, die geistige Anstrengung und der lange Atem, den wir dafür brauchen, – sie werden uns durch Zeremonien wie diese Preisverleihung geschenkt …“, und dankte Grass für die Annahme des Preises. Angesichts der großen Preise, mit denen Grass bereits geehrt worden sei, hätte es die Universität kaum gewagt anzufragen, wäre es nicht um der Sache willen, für die diese Universität steht, gewesen, betonte sie. Grenzüberschreitend, mit dem Kern deutsch-polnischer Zusammenarbeit geht die Viadrina seit nunmehr 10 Jahren einen internationalen Weg, hat ein Drittel Studierende aus dem Nachbarland Polen und insgesamt 46 Nationen unter den rund 3650 Studierenden.
Preisstifter Claus Detjen dankte Grass im Namen des Kuratoriums des Förderkreises. „Die Ehrung ist hier an der Grenze, die noch gepanzert ist mit Vorbehalten und Wahrnehmungsverwirrungen, ein Dank an Sie. Denn die Öffnung der Grenze für die Erweiterung der Europäischen Union wäre nicht möglich, wenn nicht schon viele Jahre zuvor Günter Grass in Polen Köpfe bewegt und Sinne geöffnet hätte. Die Viadrina als wichtigsten Ort gemeinsamen Lebens und Lernens junger Deutscher und Polen gäbe es nicht, wenn nicht die Viadrina-Preisträger Karl Dedecius, Adam Michnik und Günter Grass geistige Mauern aufgebrochen hätten, lange bevor die Mauer in Berlin fiel.“
In der Laudatio zur Preisverleihung betonte Adam Michnik, Historiker, Publizist und Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza: „Diese Universität, die Frankfurt an der Oder mit Slubice verbindet, ist ein Ort des Wunders. Ab jetzt sollten wir auch das Wunder an der Oder feiern. Der Ort, der über Jahrzehnte mit einem Stacheldraht geteilt war, ist heute ein Symbol der Annäherung.“ Auch Grass, der große deutsche Schriftsteller, Vertriebener aus Danzig sei ein symbolischer Preisträger. Er sei ein … Kosmopolit, der jede Form des engen Nationalismus verachte. „Die Haltung von Grass, eines ohne Erwiderung in das eigene Volk verliebten Schriftstellers, eines barmherzigen Autors gnadenloser Kritik am Nazismus, eines unerbittlichen Kämpfers für den Frieden, eines kompromisslosen Anwalts der Philosophie des Kompromisses in der Politik, eines besessenen Verfolgers totalitärer Obsessionen – ist mir sehr nah“, so Michnik. Er wünsche sich sehr, dass Polen und Deutsche die Bücher von Grass sorgfältig lesen. Sie seien eine große Lektion des Humanismus und der Selbstironie, des gesunden Menschenverstandes und des moralischen Nonkonformismus.
Günter Grass ging in seiner Dankesrede auf seine Herkunft ein als Kind einer kaschubischen Mutter und eines deutschstämmigen Vaters, auf Stationen seines Lebens und geschichtliche Ereignisse, die das deutsch-polnische Verhältnis beeinflussten. „Das erwünschte gutnachbarliche Verhältnis wird sich nicht allein durch wohlmeinende Reden beschwören lassen. Es verlangt Tatkraft und Brückenschläge, die nicht nur aus rhetorischem Stützwerk bestehen. Zum Beispiel wird sich das hässliche Wort ’Beutekunst’ nur dann entkräften lassen, wenn Deutsche und Polen bereit sind, von nationalen Besitzansprüchen abzusehen und gemeinsam – um konkret zu werden – ein Museum bauen, in dem die umstrittenen Bilder, Skulpturen …ihren bleibenden Ort finden.“ Grass schlug vor, ein solches Museum in Grenznähe, womöglich beiderseits der Oder und – warum nicht – den Fluss überbrückend, Gestalt annehmen zu lassen. Die Viadrina, ihre Professoren und Studenten könnten an einem solch brückenschlagenden Objekt mitbauen, so Grass. „Ein kühner Entwurf ist gefragt! Ich sehe das Bauwerk vor mir: den großen Bogen über den Fluss. So stellt sich eine Stück zukünftiges Europa dar.“ Er käme mit Freude zur Einweihung dieses den Grenzfluss überwölbenden Brückenschlags.
Bereits am Vorabend der Preisverleihung war Günter Grass im überfüllten Hörsaal der Universität nach einer öffentliche Lesung aus „Mein Jahrhundert“ mit lang anhaltendem Applaus gefeiert worden.
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