Von der Epilepsie bis zum Muskelschwund: 700 Neuropädiater treffen sich zur Jahrestagung in Freiburg
Die chirurgische Behandlung von Epilepsien im Kindesalter, neue Verfahren zur bildgebenden Untersuchung des Gehirns sowie Therapiemöglichkeiten bei Muskelerkrankungen und angeborenen Hirnschädigungen sind Schwerpunktthemen der 28. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie, die von Donnerstag, den 4. April, bis Sonntag, den 7. April 2002, im Konzerthaus Freiburg stattfindet. Rund 700 Kinderneurologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden erwartet.
Vor drei Jahren wurde nach vergleichbaren Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Bayern als erstes Zentrum für die chirurgische Behandlung von Epilepsien in Baden-Württemberg das Epilepsiezentrum Freiburg-Kork gegründet. Seither wurde am Freiburger Universitätsklinikum neben zahlreichen Erwachsenen auch bei mehr als 40 Kindern mit bislang therapieresistenten Epilepsien der epileptische Herd im Gehirn operativ entfernt. Die meisten dieser Patienten können nach der Operation anfallsfrei leben. Die Hirnoperation wird bei den Patienten durchgeführt, die mit Medikamenten nicht erfolgreich behandelbar sind und bei denen eine herdförmige Ursache der Epilepsie aufzudecken ist.
Bei den Vorbereitungen einer Epilepsie-Operation hilft das erst vor wenigen Jahren etablierte Verfahren der Funktionellen Magnetresonanz Tomografie (FMRI): Es zeigt dem Chirurgen die genaue Position des Krankheitsherdes. Zudem verspricht dieses Verfahren des „funktionellen Imagings“ neue Möglichkeiten in der Grundlagenforschung und Diagnostik der Arbeitsweise des Gehirns. Die Hirnfunktionen kranker Kinder im Vergleich zu gesunden können auf diese Weise ebenso erforscht werden, wie die Entwicklung des kindlichen Gehirns bis zum Erwachsenenalter. Mit der FMRI lässt sich außerdem darstellen, welche Hirnareale aktiv sind, wenn wir sprechen oder uns bewegen. So wenden die Mediziner das Verfahren bei der Vorbereitung einer Operation eines Hirntumors oder einer Epilepsie an: Ohne große Belastung des Kindes kann überprüft werden, wo genau auf der Hirnrinde die Sprachfunktion oder die Bewegung der Hand lokalisiert sind. Hiermit kann der Chirurg sehr viel leichter entscheiden, ob es ihm möglich ist, einen Krankheitsherd zu entfernen ohne nicht wieder gutzumachenden Schaden an der Hirnfunktion zu hinterlassen. Mit dem Verfahren soll beispielsweise auch überprüft werden, wie sich bestimmte Medikamente auf Hirnfunktionen auswirken.
Auch Muskelerkrankungen, zumeist seltene Erbkrankheiten, sind Thema der Jahrestagung. Während Grundlagenforscher dabei sind herauszufinden, wie der dafür verantwortliche Gendefekt behoben werden kann, bleibt den Praktikern in der Klinik die Aufgabe, das Leiden der Kinder zu lindern und die Lebensqualität für Kind und Familie zu erhalten. So erkrankt beispielsweise ein Junge von 3500 männlichen Neugeborenen an der Muskeldystrophie Duchenne. Im fünften bis sechsten Lebensjahr wird die Muskulatur des Kindes zunehmend schwächer, im Alter von zehn Jahren ist es bereits auf den Rollstuhl angewiesen. Duchenne-Patienten habe eine Lebenserwartung von 20 Jahren; bei völliger geistiger Klarheit des Kranken erschlafft die Muskulatur zusehens, so dass letztlich selbst die Atmung über eine Apparatur geregelt werden muss. Ein großer Fortschritt ist die Beatmung über eine Nasenmaske und mit einem leicht zu bedienenden Beatmungsgerät, so dass die Kinder, die bislang im Krankenhaus behandelt werden mussten, in ihrem familiären Umfeld gepflegt werden können. Mit gezielten therapeutischen Maßnahmen lindern Ärzte und Physiotherapeuten das Leiden der Kinder: Durch prophylaktische Krankengymnastik beispielsweise kann der Zeitpunkt, zu dem der Patient auf einen Rollstuhl angewiesen wäre, um bis zu zwei Jahre hinausgezögert werden. Durch eine Operation können Chirurgen die durch den Muskelschwund über die Jahre völlig gekrümmte Wirbelsäule begradigen, so dass der Jugendliche in der Lage ist, auch weiterhin sitzen zu können. Bis auf Sprache und Mimik sowie ein Gefühl in den Fingerspitzen sind die Duchenne-Patienten eines Tages völlig gelähmt. Einzig der Computer dient ihnen als Zugang zur Außenwelt.
Im Rahmen der Jahrestagung werden zwei Forschungspreise vergeben: Dr. Stefan Kölker, Heidelberg, wird mit dem Wissenschaftspreis der Gesellschaft für Jungforscher ausgezeichnet. Kölker hat in einem Forschungsprojekt über die Entstehung von Behinderungen bei einer seltenen Stoffwechselerkrankung gearbeitet. Mit dem Becker-Preis der Gesellschaft wird der international renommierte Kinderneurologe Dr. Jean Aicardi, Paris, für sein Lebenswerk geehrt.
Kontakt
Prof. Dr. Rudolf Korinthenberg
Präsident der Gesellschaft für Neuropädiatrie
Ärztlicher Direktor der Klinik für Neuropädiatrie
und Muskelerkrankungen
Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Freiburg
Telefon: 0761/270-4315
E-Mail: rudokori@kikli.ukl.uni-freiburg.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.neuropaediatrie.comAlle Nachrichten aus der Kategorie: Veranstaltungsnachrichten
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