Wie politisch engagiert sind Jugendliche heute?
Internationaler Vergleich von Schülern in 16 Ländern zeigt: Ältere Jugendliche erwarten mehr vom Staat als jüngere, vertrauen aber weniger auf die Regierung
Die Internationale Gesellschaft für Schulleistungsforschung (International Association for the Evaluation of Educational Achievement – IEA) lädt ein zu einer Pressekonferenz am
Dienstag, dem 16. Juli 2002, 11 Uhr
Hotel Intercontinental, Budapester Straße 2, Saal „Gürzenich 2“
Hier werden die Ergebnisse des zweiten und abschließenden Teils ihrer internationalen Untersuchung zu den Kenntnissen und Fähigkeiten, zum Engagement und den Einstellungen von Jugendlichen im Bereich der politischen Bildung bekannt gegeben. Die Befunde dieser Teilstudie, die sich auf 16- bis 19jährige bezog, wurden mit den 2001 publizierten Ergebnissen der IEA-Untersuchung von 14jährigen vergleichen. Die Pressekonferenz findet im Rahmen der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Politische Psychologie statt.
In vielen Ländern der Erde stand die politische Bildung am Anfang der neunziger Jahre mit dem Zusammenbruch des Kommunismus und der Entstehung demokratischer Regierungsformen vor großen Herausforderungen. Es gab jedoch keine neueren und umfassenden Untersuchungen zu den politischen Kenntnissen und Fähigkeiten, den Einstellungen und dem Engagement von Jugendlichen. An der Untersuchung nahmen 50.000 Schülerinnen und Schüler aus 16 Ländern teil. Die Ergebnisse vermitteln Bildungspolitikern und Pädagogen wichtige Einsichten, auf die sich die Vorbereitung junger Menschen auf eine aktive Teilhabe am politischen Leben gründen lässt.
Nach diesen Befunden sind Schüler der Oberstufe bzw. der berufsbildenden Schulen stärker an Politik interessiert als Mittelstufenschüler; auch geben viel von ihnen an, dass sie künftig ihr aktives Wahlrecht ausüben werden. Gleichzeitig sind die älteren Schüler jedoch skeptischer im Hinblick auf einige Formen politischen Engagements, insbesondere die Mitgliedschaft in politischen Parteien. Weiterhin unterscheiden sich die beiden Altersgruppen darin, dass die älteren Schüler deutlich höhere Erwartungen hegen, denen zufolge der Staat die Verantwortung für soziale und wirtschaftliche Verantwortung für das Wohlergehen seiner Bürger zu übernehmen hat.
Im Hinblick auf das Informationsverhalten zeigt die IEA-Untersuchung zur politischen Bildung, dass die Oberstufenschüler den Medien mehr Vertrauen entgegenbringen als den staatlichen Institutionen.
Professor Rainer Lehmann von der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sich das Internationale Koordinationszentrum der Studie befand, betont, dass „das Verständnis wirtschaftlicher Probleme wichtig für das politische Denkvermögen von Jugendlichen ist, die vor dem Eintritt ins Arbeitsleben und vor ihrer ersten Stimmabgabe stehen.“
Ferner unterscheiden sich die Geschlechter nach Auskunft der Studie darin, dass weibliche Jugendliche den Rechten von Zuwanderern und Frauen positiver gegenüber stehen und dass sie sich stärker in der Schule und im sozialen Umfeld engagieren. Im Gegensatz dazu sind männliche Jugendliche eher der Überzeugung, dass sie sich außerhalb der Schule politisch engagieren werden, und sie neigen eher zur Bekundung politischer Interessen.
Die Studie der IEA zeigt auch, dass sich das Ausmaß, in dem Jugendliche an kontroversen Diskussionen im Unterricht beteiligt werden, mit steigendem Lebensalter zunimmt. Die älteren Schüler berichteten eher als die jüngeren davon, dass sie ungehindert seien, Ihre Vorstellungen und Meinungen frei im Unterricht zu äußern. Ein Grund für diesen Unterschied könnte darin liegen, dass die Lehrkräfte älteren Schülern eher die Fähigkeit zu wohlüberlegter Mitbestimmung zutrauen.
Wichtige Ergebnisse der Untersuchung beziehen sich auf Faktoren, die für die Ausprägung politischer Kenntnisse und Fähigkeiten der Jugendlichen verantwortlich sind. Der Bildungsstand der oder des Erziehungsberechtigten, die Verfügbarkeit bildungsrelevanter Ressourcen (z.B. Bücher) und die besonderen Lebensumstände (z.B. die Größe der Familien) haben beträchtlichen Einfluss auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der Jugendlichen im Bereich der politischen Bildung. Gleichwohl beeinflussen auch die Schulen die Ausprägung der Kenntnisse und Fähigkeiten sowie des Engagements der Jugendlichen, und zwar sowohl durch die offiziellen Lehrpläne als auch über die eher informellen Aspekte einer demokratischen Schulkultur. Schulen, die demokratische Prinzipien verwirklichen, indem, sie den Schülern Gelegenheit zur Diskussion und Mitbestimmung bieten, haben besonders großen Erfolg darin, den Jugendlichen die wohlinformierte Teilhabe am öffentlichen Leben zu erröffnen.
Die Daten, die durch dieses Großprojekt der IEA gewonnen wurden, verlangen zusätzliche gründliche Analysen. Ein Forschungsbericht wird im September veröffentlicht. Die Daten werden für weitere Analysen durch andere Forschungsgruppen im nächsten Jahr freigegeben. Professor Judith Torney-Purta von der University of Maryland (USA), die Vorsitzende des Internationalen Beirats der Studie, betonte, dass „es sich hierbei um eine wichtige Informationsquelle handelt, deren weitere Analyse dazu verhilft, das politische Denken und die politischen Einstellungen Jugendlicher in zwei entscheidenden Phasen ihrer Entwicklung nachzuzeichnen – im mittleren Jugendalter (14 Jahre) und drei bis vier Jahre später, wenn sich die Jugendlichen dem Ende ihrer schulischen oder beruflichen Ausbildung nähern.“
Die IEA ist ein unabhängiger kooperativer Zusammenschluss von Forschungsinstituten und Forschungsabteilungen in 58 Ländern der Erde. Zusammen mit den Nationalen Projektkoordinatoren aus den Teilnehmerländern entwickelte und realisierte die IEA in den acht Jahren seit 1994 die Untersuchung. Diese bestand im Kern aus einer Befragung von Schülern, vor allem zu ihren politischen und ökonomischen Kenntnissen, zu ihren Einstellungen zur Demokratie und ihren Absichten, sich an politischen Aktivitäten – insbesondere auch – Wahlen – zu beteiligen.
Folgende Mitgliedsländer der IEA haben an dieser Teilstudie des Projekts zur politischen Bildung im internationalen Vergleich teilgenommen: Chile, Kolumbien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Hong Kong (SAR), Israel, Lettland, Norwegen, Polen, Portugal, Russische Föderation, Slovenien, Schweden and Schweiz. In der Mehrzahl dieser Länder werden in Kürze die entsprechenden nationalen Forschungsberichte erscheinen.
Weitere Informationen: Prof. Dr. Rainer H. Lehmann, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät IV, Abt. Empirische Bildungsforschung
Unter den Linden 6, 10099 Berlin
Tel. 030 2093 4132, Fax 030 2093 4153
Weitere Informationen: Prof. Dr. Rainer H. Lehmann, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophi-sche Fakultät IV, Abt. Empirische Bildungsforschung
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