Unheimliche Begegnungen der deutschen Art

Psychoanalytiker tagen vom 19.-20. September an der Universität Jena

„Skinheads überfallen Ausländer in Mecklenburg“: Typisch Osten, denken viele Westdeutsche bei Schlagzeilen wie dieser. Statt in den geplanten Rügen-Urlaub fahren sie dann lieber doch wieder nach Sylt – ihre Landsleute in den Ost-Bundesländern sind ihnen manchmal einfach zu wenig geheuer. Woher kommt dieses Gefühl? Finden Deutsche aus West und Ost am jeweils anderen vielleicht gerade das unheimlich, was sie an sich selber nicht akzeptieren und deshalb verdrängen – zum Beispiel Aggressionen gegen Ausländer? Die Kommission West-Ost der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) wird auf ihrer Jahrestagung dieser Frage nachgehen. Das Symposium mit dem Titel „Das ’Unheimliche’ in der deutsch-deutschen Begegnung“ findet vom 19.-20. September an der Friedrich-Schiller-Universität Jena statt.

Orientieren wird sich die Tagung an Sigmund Freuds Aufsatz „Das Unheimliche“ von 1919. „Nach Freud überkommt uns das Gefühl des Unheimlichen immer dann, wenn uns etwas von früher her Vertrautes, aber Abgewehrtes begegnet“, sagt Prof. Dr. Dr. Günter Jerouschek von der Friedrich-Schiller-Universität, der das Symposium ausrichtet. „Wenn Ost- und Westdeutsche etwas Unheimliches aneinander entdecken, ist es oft ein Überbleibsel aus ihrer gemeinsamen Geschichte vor 1945“, meint der Jurist und Psychoanalytiker und erklärt: „Diese Geschichte haben die beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften auf verschiedene Weise verdrängt: So wurde zum Beispiel in der DDR die Schuld an der NS-Diktatur pauschal dem ’Klassenfeind’ im Westen zugeschoben, während in der Bundesrepublik vor allem seit 1968 die so genannten ’typisch deutschen’ Tugenden wie Unterordnung und Pflichterfüllung verpönt waren.“ Seit 1990 leben die Deutschen wieder in einem gemeinsamen Staat – „und reagieren beunruhigt und befremdet, wenn sie sich gegenseitig an ihre verdrängte Vergangenheit erinnern“, bringt Jerouschek die psychoanalytische Deutung der deutsch-deutschen Unheimlichkeit auf den Punkt.

Wie in jedem Jahr werden sich die Teilnehmer am DPV-Symposium wieder in Referaten, Diskussionsrunden und Gruppenarbeit mit dem Tagungsthema auseinander setzen – und können dabei die verschiedenen Perspektiven und Deutungsmuster von Ost- und Westdeutschen im persönlichen Kontakt erfahren. Besonders gespannt ist Jerouschek auf den Eröffnungsvortrag „Die ’langen Schatten der Vergangenheit’. Unterschiedliche Vergangenheitsbewältigung in Ost und West“, den der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Prof. Dr. Volkhard Knigge, halten wird. Der Historiker mit psychoanalytischer Zweitausbildung ist über die Fachwelt hinaus als hervorragender Kenner der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte ausgewiesen und lehrt seit einem Jahr als Honorarprofessor für das Fachgebiet „Geschichte und Öffentlichkeit“ an der Universität Jena.

Die Kommission West-Ost der DPV besteht seit 1990. Mit ihren seit 1993 jährlich abgehaltenen Symposien will sie Psychotherapeuten ein Forum bieten, auf dem Erfahrungen mit deutsch-deutschen Kommunikationsproblemen ausgetauscht werden können. In diesem Jahr findet die Tagung bereits zum zweiten Mal in Jena statt. „In Jena, besonders an seiner Universität, hat die Begegnung von Ost und West seit der Wende eine sehr anregende kulturelle Mischung hervorgebracht“, beobachtet Jerouschek. Der gebürtige Schwabe, der in Jena als Psychoanalytiker praktiziert, ist sich sicher: „In diesem Umfeld ist das Symposium genau am richtigen Platz.“

Psychotherapeuten mit Interesse an der Psychoanalyse, Mitglieder der DPV sowie Ausbildungskandidaten aus Ost und West sind herzlich zu der Jenaer Tagung eingeladen. Die Teilnahmegebühr beträgt 55 Euro.

Anmeldung und Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Günter Jerouschek
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Jena
Carl-Zeiß-Str. 3
07743 Jena
Tel.: 03641 / 942310 oder 03641 / 443444
Fax: 03641 / 942312
E-Mail: G.Jerouschek@recht.uni-jena.de

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Axel Burchardt idw

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