Der Angst auf der Spur
„Goldene Kraepelin-Medaille“ geht an Prof. Hanns Möhler, Zürich, für die Identifizierung der Rezeptoren für Angst-lösende Medikamente
Die Stiftung Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (Max-Planck-Institut für Psychiatrie) verleiht am 26. November 2003 die Goldene Kraepelin-Medaille an Prof. Hanns Möhler, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universität und Eidgenössische Technische Hochschule Zürich. Diese Auszeichnung wird in Erinnerung an Emil Kraepelin (1856-1926), den Gründer des Instituts, im Abstand von etwa fünf bis zehn Jahren für herausragende Forschungsleistungen auf dem Gebiet der Psychiatrie bzw. der neurobiologischen Grundlagenwissenschaften vergeben. Letzter Preisträger war im Jahr 1997 Arvid Carlsson (Nobelpreis für Medizin des Jahres 2000). Hanns Möhler erhält die Goldene Kraepelin-Medaille insbesondere für seine Arbeiten zur Aufklärung des GABA-Rezeptor-Systems im Gehirn. Dieser Rezeptorkomplex ist die wichtigste Zielstruktur für die Behandlung von Angsterkrankungen, Schlafstörungen und Anfallsleiden. Möhler gelang es, die hierfür verantwortlichen Mechanismen auf molekularer Ebene aufzuklären.
Die Goldene Kraepelin-Medaille wurde 1928 anlässlich der Eröffnung des Institutsgebäudes der bereits 1917 gegründeten Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, in Erinnerung an Emil Kraepelin (1856-1926), den Gründer des Instituts, gestiftet. Der von 1926 bis 1928 errichtete Bau an der Kraepelinstraße in München-Schwabing wurde überwiegend durch die Rockefeller-Foundation finanziert. Die 75-jährige Wiederkehr dieses Ereignisses bildet den äußeren Anlass für die diesjährige Preisverleihung. Diese findet am 26. November 2003 ab 10 Uhr im Hörsaal des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München im Rahmen einer Akademischen Feierstunde statt. Die Laudatio auf Prof. Möhler hält Prof. Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie.
In seiner Festansprache spricht Prof. Hanns Möhler zum Thema
„Emil Kraepelin und Neurowissenschaft heute“.
Prof. Hanns Möhler, geboren am 8. März 1940 in Ehingen/Deutschland, studierte Chemie und Biochemie an den Universitäten Bonn und Tübingen. Anschließend verbrachte er einen einjährigen Studienaufenthalt an der Michigan State University, USA, bevor er 1968 an der Universität Freiburg i. Br. in Biochemie promovierte. Im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt an den Medical Research Council Laboratories in London (1972-1973) arbeitete er in der Forschungsabteilung von Hoffmann-La Roche in Basel (1973-88), ab 1986 als Vizedirektor Wissenschaft. 1978 habilitierte er sich an der Universität Freiburg i. Br., wo er auch zum Außerordentlichen Professor ernannt wurde. Seit 1989 ist Prof. Hanns Möhler über eine Doppelprofessur sowohl an der ETH Zürich, Departement Angewandte Biowissenschaften, als auch an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich tätig. Als Fachvertreter und Ordinarius für Pharmakologie leitet er das Institut für Pharmakologie. Er ist Mitglied mehrere wissenschaftlicher Akademien und Fachgesellschaften, Mitherausgeber verschiedener Fachzeitschriften, Autor eines Lehrbuches in Biochemie und wurde 1991 zum Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften gewählt.
Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Werkes von Prof. Hanns Möhler steht das Phänomen der Angst, angefangen bei den ihr zugrundeliegenden Mechanismen im Zentralnervensystem bis hin zu ihrer Beeinflussung durch Medikamente, insbesondere durch so genannten Benzodiazepine. Diese Substanzen, unter ihnen Valium als der wohl bekannteste Vertreter, sind seit etwa vierzig Jahren auf dem Markt und zählen zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Benzodiazepine wirken angstlösend, haben aber auch noch eine Reihe weiterer Wirkungen. So wirken sie als Schlafmittel, sind muskelrelaxierend und antiepileptisch. Oft führt ihre längere Anwendung zur Abhängigkeit. Daher ist es seit langem ein dringendes Anliegen, die komplexen Wirkungen dieser Substanzen voneinander zu trennen und dadurch über Medikamente zu verfügen, die zum Beispiel nur angstlösend wirken, ohne unerwünschte Nebenwirkungen. Dank der bahnbrechenden Arbeiten von Prof. Möhler ist man diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen.
Zunächst hatte er sich mit dem Wirkungsmechanismus der Benzodiazepine beschäftigt: Es gelang ihm, die Bindungsstelle dieser Substanzen an den Nervenzellen des Gehirns als eine Komponente der so genannten GABA-Rezeptoren zu identifizieren. GABA ist ein für die Funktion des Gehirns ausschlaggebender Botenstoff, der über die GABA-Rezeptoren wirkt und auf viele Funktionen und Regelkreise im Gehirn eine bremsende Wirkung hat. Benzodiazepine binden an einen spezifischen Teil der GABA-Rezeptoren und verstärken dadurch die hemmende Wirkung von GABA. Da GABA-Rezeptoren überall im Gehirn vorhanden sind, ist die Wirkung der Benzodiazepine auch so komplex.
Später fand Möhler heraus, dass es nicht nur einen einzelnen GABA-Rezeptor, sondern noch eine ganze Reihe von Untertypen davon gibt, denen er nach intensiven biochemischen Untersuchungen spezifische Wirkungen zuordnen konnte. Durch gezielte Punktmutationen gelang es ihm, einzelne Komponenten der GABA-Rezeptoren in so genannten „Knock-in“-Mäusen auszuschalten und auf diese Weise ihre spezifischen Funktionen zu entschlüsseln. So wies Möhler nach, dass eine Klasse von GABA-Rezeptoren für die beruhigende und antiepileptische Wirkung der Benzodiazepine zuständig sind, während eine andere eher angstlösend wirkt. Durch diese Erkenntnisse ist die Erzeugung spezifischer Wirkstoffe in den Bereich des Möglichen gerückt.
Möhler wies auch nach, dass Angstverhalten bei einem molekularen Defizit von GABA-Rezeptoren auftritt: An einem Knock-out-Mausmodell, in dem ein spezifischer Anteil des GABA-Rezeptors ausgeschaltet worden war, ließen sich spezifische Angstreaktionen, wie sie auch beim Menschen bekannt sind, nachweisen. Wurden Benzodiazepine verabreicht, normalisierte sich diese Verhaltensweise wieder. In diesem Tiermodell gelang somit erstmals der Nachweis, das Angstverhalten auch auf einer genetischen Basis beruht und Veranlagung und Umwelt bei der Entstehung der Angst miteinander in Beziehung stehen.
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