MMM2006: Neue Disziplin lockt 350 Experten aus aller Welt nach Freiburg

Die Multiscalen-Material-Modellierung beschreibt Veränderungen in Werkstoffen bis zur atomaren Ebene. Im Bild: Rissbildung entlang einer Korngrenze

Damit sollen Werkstoffe in mathematischen Gleichungen auf allen Skalen präzise beschrieben werden. Einzelne Atome, zusammenhängende Körner oder Kristalle und ganze Werkstoffe. Die Multiskalen-Material-Modellierung hilft Entwicklungskosten zu senken, maßgeschneiderte Werkstoffe zu entwickeln und die Zuverlässigkeit von Produkten vorherzusagen und zu steigern. Fraunhofer IWM und Universität Freiburg veranstalten internationale Konferenz MMM2006 im September

Die Methoden bereitstellen, damit exakt vorhergesagt werden kann, wann und wie ein mikroelektronisches Bauteil nach tausenden von Arbeitsstunden versagt oder wie sich ein Autoteil beim Crash verformt, ist eines der langfristigen Ziele der MMM2006. Zum dritten Mal, aber erstmals in Deutschland, treffen sich vom 18. bis 22. September 2006 internationale Experten aus Physik, Chemie, Material- und Ingenieurwissenschaften in einer jungen Disziplin. „MMM“ steht für Multiscale-Materials-Modelling. Damit sollen Werkstoffe in mathematischen Gleichungen auf allen Skalen präzise beschrieben werden – einzelne Atome, zusammenhängende Körner oder Kristalle und ganze Werkstoffe. Die Industrie will mit Hilfe der MMM Entwicklungskosten senken, maßgeschneiderte Werkstoffe entwickeln und die Zuverlässigkeit von Produkten vorhersagen und steigern.

Als „großes Innovationsthema“ bezeichnet Professor Peter Gumbsch, Leiter der Konferenz und Institutsleiter des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM, die Weiterentwicklung herkömmlicher Simulationsmethoden. Sie sei für die industrielle Produktforschung und

-entwicklung zum entscheidenden Nadelöhr geworden. Gumbsch lädt seine Fachkollegen nach den Konferenzen 2002 in London und 2004 in Los Angeles nun zusammen mit der Universität Freiburg in den Breisgau ein.

Die Idee der Multiskalen-Material-Modellierung ist bestechend: Erst, wenn die Zusammensetzung eines Stoffes bis auf die atomare Ebene hinunter mathematisch beschrieben ist, lassen sich auch die Veränderungen bei der industriellen Verarbeitung oder bei der Nutzung eines Produktes zuverlässig vorhersagen. „Auf der anderen Seite können wir nicht jahrelang rechnen, um der Industrie etwas über die Qualität eines Abgaskatalysators aus Aberbillionen von Atomen zu sagen. Der wäre, bis der Computer ein Ergebnis ausspuckt, womöglich längst veraltet“, bringt Peter Gumbsch die Krux der Forschung auf den Punkt.

Die Multiskalen-Modellierung soll deshalb wie ein virtuelles Mikroskop arbeiten, das zuerst viele verschiedene Vergrößerungen, also Einblicke in den Werkstoff auf verschiedenen Skalen, ermöglicht und danach die Ergebnisse von atomarer Zusammensetzung, Gefügebildung in Korngröße und Werkstoff miteinander verknüpft. Das heißt für Fachmann Gumbsch: „herausfinden, welche Informationen man mindestens braucht, um die wichtigen Zusammenhänge so formulieren zu können, dass sie in einer angemessenen Zeit wirtschaftlich berechnet werden können und eine für den jeweiligen Anwendungsfall gute Vorhersage erlauben.“

Die Automobilindustrie sei eines der Zugpferde für den Einstieg in diese neue Form der materialwissenschaftlichen Forschung gewesen. Am Beispiel Auto lässt sich die Bedeutung der einzelnen Ebenen auch gut erläutern: Wie die Karosserie bei einem Crash die Energie des Stoßes aufnimmt, bestimmten Mechanismen auf der mikroskopischen Ebene des Werkstoffgefüges, also seiner inneren kristallinen Struktur. Erst auf der makroskopischen Ebene lässt sich aber festlegen, wie der Frontbereich des Fahrzeugs aussehen muss, damit das Material auf die Crashbelastung so reagiert, dass die Insassen möglichst wenig gefährdet werden. Hinzu kommt: Während die Atome den Bruchteil von 12 Nullen hinterm Komma einer Sekunde brauchen, um zu reagieren, dauert es Sekunden, bis der Werkstoff bricht.

Die mathematische Beschreibung auf diesen verschiedenen Längen- und Zeitskalen ist aber längst mehr nicht nur im Fahrzeugsektor gefragt. Die MMM2006 in Freiburg bietet in neun Symposien auch Neues zu Themen wie Biomaterialien, mikromechanische Bauteile und Multifunktionswerkstoffe an.

Die Schar der Experten bringt Fachwissen aus unterschiedlichen Disziplinen mit: Mathematiker aus Spanien, Deutschland, Italien, Israel, Spanien und Frankreich machen Vorschläge, wie sich die unterschiedlichen Zeit- und Längenskalen bei der Berechnung überbrücken lassen. Materialprüfer, unter anderem aus Schweden, Irland, Großbritannien und USA stellen verschiedene Theorien und dazu Prüfaufbauten vor, mit denen sich das Materialverhalten experimentell verfolgen lässt.

Andere wiederum – aus Indien, Ungarn oder Norwegen – liefern statistische Ansätze für unumkehrbare Deformationen.

Der fünftägige Kongress richtet sich an Forscher, Entwickler, Hersteller und Verarbeiter von Werkstoffen. „Die wissenschaftlichen Fortschritte in dieser neuen Disziplin sind enorm“, alle sollen sich wieder auf den aktuellen Stand bringen, erläutert Peter Gumbsch das Ziel der Tagung. Konferenzsprache ist auch in Freiburg englisch.

Das Fraunhofer IWM gehört weltweit mit zu den führenden Forschungsinstitutionen, die sich mit Multiskalen-Material-Modellierung befassen. „Angesichts der vielen Neuentwicklungen von Werkstoffen nach Maß wird uns die Arbeit noch lange nicht ausgehen“, lautet die Prognose des Fraunhofer-Institutsleiters.

Media Contact

Thomas Götz Fraunhofer-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.iwm.fraunhofer.de/

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